Kelis – Flesh Tone

Mit „Acapella“ ließ Kelis zuletzt aufhorchen und vollzog relativ überraschend einen kompletten Genrewechsel, ohne dabei jedoch in der Flut aktueller Electro-Pop Songs unterzugehen. Der tosende Sound und Kelis markante Stimme scheinen sich gefunden zu haben. Die Erwartungen an Kelis mittlerweile fünftes Album sind dementsprechend hoch. Auf dem Label von will.i.am und mit einer Riege namhafter Produzenten stellt sich „Flesh Tone“ nun seinen Kritikern.

Zugegeben, der erste Blick auf „Flesh Tone“ enttäuscht. Mit nur 9 Tracks und einer Spielzeit von 38 Minuten stimmt das Preis-Leistungsverhältnis nur bedingt. Hinzu kommt, dass die ersten drei Track des Longplayers nicht wirklich zünden wollen. „Intro“ ist für ein Intro zu lang und für einen eigenständigen Song zu schwach. „22nd Centruy“ und „4th of July (Fireworks)“ zeigen zwar die Richtung an, in der sich der Longplayer bewegen will, doch Euphorie will sich zu diesem Zeitpunkt nicht breit machen. Ein Drittel der Scheibe ist schon gehört und Ernüchterung droht einzusetzen. Vier Jahre Wartezeit, eine mehr als gelungene Lead-Single und dann versagt das Album? Die Antwort lautet: Nein! Denn all das wird am Ende kaum mehr von Bedeutung sein. Im Gegenteil. „Flesh Tone“ wird sich fortan als treffsicher, durchdacht und äußerst hochwertig präsentieren. Es beginnt mit Track 4 und soll nicht mehr abreißen.

„Home“ heißt der Track der einen direkt in die Knie schießt und quasi zur Bewegung zwingt. Der Gesang, smooth und charming, der Sound, teilweise schrill und durchdringend. Mal nimmt sich der Song zurück und lässt sich treiben, dann aber bricht der Refrain und setzt mitreißende Höhepunkte. Ohne es groß zu merken findet man sich schon bei „Acapella“ wieder. „Flesh Tone“ setzt auf fließende Übergänge und verbindet die Tracks mit individuellen „Segues“ – ein wirksames und bekanntes Mittel um Elektro-Strecken in einen ganz eigenen Flow zu bringen. „Acapella“ weiß den Flow aufzunehmen, die David Guetta Produktion ist und bleibt eine Bombe. „Flesh Tone“ ist nun in der Mitte angekommen und zeigt was es kann. Das Tempo ist hoch, die Melodien fesseln, beflügeln, entflammen. Und immer wieder zeigt sich, wie sehr Kelis mit ihrer Stimme das muntere Treiben bestimmt. So auch beim zweiten Guetta Track „Scream“, der in Zusammenarbeit mit „Tocadisco“ entstand. Die Soundeffekte ergeben sich Kelis Gesangslinien und preschen erst dann hervor, wenn sie es erlaubt. Da sind einerseits die balladesk anmutenden Harmonien in den Strophen, ehe dann andererseits ein wahnsinnig eindringliches Elektro-Feuerwerk entbrennt und blechernd vor sich hin zischt.

„Emancipate“ knüpft direkt an und erfüllt den groß gewordenen Drang nach mehr. Nicht jedem wird die Monotonität des Songs packen. Doch im Gewand der starken Tracks zuvor und dem, was folgt, entwickelt sich „Emancipate“ zu einem wahren Grower. Dabei scheint es fast, als diene die Benny Benassi Produktion als Anheizer für den folgenden Track. Denn die zweite Benassi Nummer „Brave“ wird sich schon nach wenigen Sekunden als bester Song des Albums präsentieren. Eingängiger Gesang findet sich in einem fulminanten Sound-Gerüst wieder und gelangt durch gut platzierte Elektro-Effekte von Höhepunkt zu Höhepunkt. Und so bleibt es dabei: Ein Stein passt zum anderen – „Flesh Tone“ entwickelt sich immer mehr zum farbenprächtigen Mosaik. Es entsteht ein großes Ganzes und vereinzelt dürfen Songs wie „Brave“ oder „Acapella“ die Empore betreten. Selbst der zunächst etwas müde wirkende Anfang findet immer mehr seine Berechtigung. Denn mit „Song For The Baby“ schließt „Flesh Tone“ überraschen poppig und lässt einen roten Faden erkennen. Da war die WarmUp Phase zu Beginn, die exzessive und relativ lang anhaltende Explosion im Mittelteil und schließlich ein eher sommerlich chilliges Outro. Selbst die eher kurze Spieldauer erscheint nun sinnig, den letztendlich schließt „Flesh Tone“ als homogenes Gesamtwerk, dass auch nach nur 38 Minuten alles erreicht hat, was man sich zuvor erhofft hatte. „We control the dancefloor“ hieß es im Intro. Sollte es ein Auftrag gewesen sein, wurde er erfüllt. Starke Scheibe!

VÖ: 28.05.2010
Interscope (Universal Music)
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