Kommentar: Raabs Kampf gegen die Presse

„Deutschland gewinnt den Eurovision Songcontest 2010!“ Wer hätte das noch vor genau einem Jahr für möglich gehalten. Etwa um diese Zeit verriss sich die Presse das Maul über die ach so schlechte englische Aussprache der Hannoverin, ihre etwas durchgeknallte Art oder ihren seltsamen Tanzstil. Nach dem 29. Mai änderte sich das ganz schlagartig: Deutschland liebte „Lovely Lena“ – mit ihm natürlich auch die deutsche Presse. Mit der Jährung des Songcontests wiederholt sich auch diese Stimmungswelle. Doch diesmal konzentrieren sich die Pressestimmen auf den Helden des vergangenen Jahres: Stefan Raab.

In der Tat kann man an dem neuen Konzept von Raab und der Durchführung der „Unser Song für Deutschland“-Sendungen Kritik ansetzen. Die beiden Halbfinal-Shows auf Pro7 trafen nicht den Geschmack aller Zuschauer, vor allem nicht den musikalischen. Viele Songs waren zu „schnarchig“ und es gab wenige Überraschungen. Die Finalshow bestand dann aus zu vielen Wiederholungen, gerade bei den Einspielern. Und natürlich kann man generell über die Frage diskutieren, ob Lena ein zweites Mal zum Contest gehen sollte. Haben es Raab und Lena übertrieben? Ist es größenwahnsinnig? Den endgültigen Dolch bekam Raab dann mit dem „Quoteneinbruch“ in die Brust gestoßen. „Unser Song für Deutschland“ brachte nicht einmal die Hälfte des Publikums an die Mattscheibe als „Unser Star für Oslo“ im letzten Jahr. Dabei stellt sich die Frage, ob man solche zwei verschiedenen Shows überhaupt miteinander vergleichen sollte, schließlich spricht eine Show mit mehreren Interpreten und Musikstilen ganz klar eine breitere Masse an.

Jetzt hat die Presse aber ihr Fressen gefunden und die angespannte Stimmung entlädt sich. Nun muss sich unser Eurovision-Held sogar schon öffentlich (!) in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung verteidigen. Obwohl Stefan Raab hierbei einiges an den Kopf geworfen wird und er bei seiner Verteidigung oft extreme Vergleiche oder eine übertriebenen Wortwahl verwendet, so hat er doch – wie so oft – in vielen Punkten seiner Argumentation Recht. Das er dabei die Presse mit ihren Journalisten angreift ist sicher ebenso inhaltlich richtig, aber natürlich etwas unhöflich und ungeschickt. Klar, dass das den Ex-Metzger selbst wie eine beleidigte Leberwurst aussehen lässt. Blendet man aber mal die überzogene Hetz-Kampagnen aus, so kann man Herrn Raab bis auf etwas Kritik in wenigen Punkten (siehe oben) garnicht viel vorwerfen: Das Konzept zu seiner Sendung ist erneut eine runde Sache geworden. Die Idee die Zuschauer einen Song für den Contest aussuchen zu lassen und gleichzeitig damit das Album der Künstlerin zu promoten ist ebenso neu als auch genial. Werbeeffekt hin oder her – das hat Hand und Fuß. Offensichtlich war vielen Zuschauern und auch der Presse im Vorfeld aber genau dieser Promotion-Effekt nicht aufgefallen. Eigentlich sollte doch klar sein, dass sich hier zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen lassen und es nicht nur um Angebote für einen Anwärter für den Soncontest, sondern gleichermaßen um die Erstellung eines zweiten Lena-Albums gehen musste. Beides geht einher und ist den Machern der Show auch nicht vorzuwerfen.

Ganz im Gegenteil: Eine Sendung in diesem Format mit dem ein etablierter Act wie beispielsweise Sarah Connor oder Tokio Hotel den nächsten Singlekandidaten über das Publikum sucht, wäre sicher interessant anzusehen und fände gerade im deutschen Musikfernsehen gut Platz. Stattdessen zeigt man dort aber lieber wie reiche Rapper leben oder wie viele halbnackte Playboy-Bunnys in ein Haus passen. Raab, sein Team und auch die gut ausgewählte Musikjury der Sendung verzichtete auf niveaulose Spielchen. Anstelle die Person oder das persönliches Schicksal in den Mittelpunkt zu rücken, ging es bei der Sendung tatsächlich mal nur um den Song an sich. Musikfreaks wissen es schon längst – die Personen im Rampenlicht sind meist nur die halbe Miete. Ohne einen gut geschriebenen und produzierten Song kann kein Williams, keine Gaga und schon gar keine Lena überleben. Die Idee den Produzenten etwas mehr Platz in der Sendung zu verschaffen ist daher löblich und interessant zugleich und rückt das Licht weg von Raab und Lena, die oft der Selbstverherrlichung beschuldigt werden. Dieser Vorwurf liegt durch den Wiederantritt natürlich auf der Hand. Doch hätte es Alternativen gegeben? Seit 5 Jahren suchte Deutschland nach einem geeigneten Verfahren um einen Kandidaten für den Contest zu finden. Das Ergebnis war erschreckend. Und so gab es im Folgejahr dann erneut Änderungen, die zu nichts führten. Bis 2009 sahen auch im beatblogger-Diskussionsboard die User diese Aufgabe als aussichtslos an. Hätte man damals geschrieben: Im nächsten Jahr finden wie einen Newcomer, der den Contest gewinnt. Keiner hätte es geglaubt.

Natürlich hätte man auch einfach erneut eine Casting-Show a la USFO stattfinden lassen können. Die Idee diesmal keine Zeit mit der Künstlerwahl zu verschwenden, sondern sich direkt auf einen Song zu konzentrieren erscheint allerdings gerade für einen Workaholic und eben auch selbst Produzenten wie Raab nur logisch und einleuchtend. Und wenn wir ehrlich sind, hat sich das der Retter des Eurovision Songcontests auch verdient, oder? Etwas Vertrauen darf man Stefan nach all der Leistungen in den letzten Jahren gerne entgegenbringen. Und tatsächlich: Das Resultat kann sich sehen lassen. „Taken By A Stranger“ ist eine musikalische Überraschung, die vom – eigentlich doch nicht so kleinen – Publikum gut aufgenommen und gefeiert wird. Single und Album stehen an der Spitze der Charts. Und neben dem Siegertitel sind mit „Push Forward“, „Mama Told Me“ und „A Millian And One“ drei weitere gute Pop-Songs zusammen mit teilweise unbekannten Produzenten an die Öffentlichkeit geraten. Es gibt also eigentlich keinen Grund zur Aufregung. Stefan Raab hat mit seinem neuen Sendungskonzept erneut die Aufmerksamkeit auf Qualität gelenkt. Das die von Skandalen und Oberflächlichkeiten verwöhnten RTL-Zuschauer da lieber beim Dschungelcamp oder bei Bauer Heinrich bleiben wundert wenig. Daher ist klar: Die Hetzkampagne der Presse ist überzogen und beinahe schon undankbar. Generell ist es ein Fehler Raab und Lena am erfolg des letzten Jahres zu messen. Ziel sollte es sein 2011 ein gutes Bild abzugeben und mit Lena im vorderen Mittelfeld zu landen. Und vergleiche sollten allenfalls zu den schrecklichen Vorjahren vor „Satellite“ gestellt werden.

Wir danken Stefan Raab daher für seine Bemühungen für Deutschland und die Musikindustrie. Wir stehen hinter ihm – auch wenn wir damit mal wieder anders sind als die allgemeine Presse. Stefan, behalte die Ruhe und mach bitte weiter so!

Homepage „Unser Song für Deutschland“
„Taken By A Stranger“ @amazon | Lenas Album „Good News“ @amazon