Roger Shah – Openminded!?

Über Jahre hinweg prägte Roger Shah den Begriff Balearic Trance wie kaum ein anderer. Doch nach seinem 2008er Longplay-Debüt „Songbook“, drei Sunlounger-Alben, zahllosen Nebenprojekten und den lauter werdenden Stimmen, Shah klinge immer gleich, ist es nur verständlich, dass er sich weiterentwickeln möchte. Zwei Jahre Studioarbeit brauchte es, um das neue Werk fertigzustellen. Jetzt stellt Roger Shah seinen Fans die alles entscheidende Frage: Seid ihr „Openminded!?“.

Dank des bewährten Doppel-CD-Konzepts lässt das Endprodukt geschickterweise beide Antworten zu, indem es eine Brücke zwischen altem und neuem Sound schlägt. Der erste Silberling präsentiert vierzehn Produktionen in Club-orientierten, meist trancigen Mixes – sicherlich auch, damit der Abschied vom geliebten Balearic-Style etwas leichter fällt. Erst die organisch arrangierten Album-Versionen auf der zweiten CD zeigen Shahs Metamorphose zu einem richtigen Künstler.

Wie schon bei „Songbook“ hat man es hier in erster Linie mit einem Vocal-Album zu tun, für das Roger Shah insgesamt neun Gastvokalisten gewinnen konnte. Die ätherische Stimme von Enyas Schwester Moya Brennan (bekannt durch Chicanes „Saltwater“) war bereits auf der Single „Morning Star“ zu bewundern. Keltische Instrumente verschmelzen im Club Mix mit einem treibenden Trance-Gewand, während die orchestrale Albumfassung ein besonderes Gänsehaut-Erlebnis verspricht. Nicht weniger exklusiv ist das verträumte „One Love“ mit Carla Werner, der Sängerin hinter Shahs All-Time-Favourite „Southern Sun“, selbst wenn es an Paul Oakenfolds Klassiker nicht ganz herankommt. Auch Ira Losco, Maltas Eurovision-Zweitplatzierte von 2002, dürfte dem einen oder anderen Kenner ein Begriff sein. Ihre Kollaboration „Save It All Today“ ist eine wunderschöne Popnummer mit rockiger Note, die sich als einer der heimlichen Favoriten herauskristallisieren könnte.

Der unbestrittene Star des neuen Albums ist allerdings Sian Evans, die einzigartige Powerstimme von Kosheen. Die Zusammenarbeit zwischen Shah und Evans war sogar so fruchtbar, dass die walisische Frontfrau auf ganzen drei Produktionen zu hören ist. Während das melancholische Gitarren-Pop-Stück „In The Light“ sogar beinahe als Kosheen-Track durchgehen könnte, wird die euphorische House-Hymne „Shine“, unüberhörbar vom angesagten Avicii-Sound inspiriert, jeden Club zum Brodeln bringen. Eine besondere Überraschung ist das gemeinsame Remake von „Hide U“, das dem zehn Jahre alten Klassiker neues Leben einhaucht. Daneben stellt Roger Shah mit Salma Ross (eine der Gewinnerinnen der letztjährigen Singing Competition von Armada Music) aber auch ein noch völlig unbekanntes Talent vor. Ihre spanische Nummer „Porque“ bietet feurige Rhythmen und sonnige Mittelmeer-Stimmung, geht neben der starken Vocal-Konkurrenz aber ein wenig unter.

Natürlich haben auch die treuen Weggefährten des Stuttgarters wieder ihren großen Auftritt – wenn auch mit durchwachsenem Erfolg. So trällert Inger Hansen bei „Dance With Me“ den ideenärmsten Refrain des gesamten Albums, bevor Lorilees schläfrige Vocoder-Performance dem Titel „When The World’s Asleep“ leider alle Ehre macht. Schon deutlich besser funktioniert das rockige, vielleicht etwas zu Na-na-na-lastige „Obsession“ mit Chris Jones („Going Wrong“). Höhepunkt ist allerdings „Island“, das heißersehnte Comeback von Adrina Thorpe („Who Will Find Me“), das sowohl als akustische Pianoballade als auch als kristallklarer Uplifting-Trancer ein absoluter Ohrenschmaus ist. Die beiden Instrumentals „Guess“ (feat. Nuera) und „Symbiosis“ (feat. Kim Svärd) bilden zusammen mit dem klassischen Orchester-Intro „Openminded?!“ einen perfekten Rahmen für die Vocal-Tracks, wenngleich sie dadurch selbst ein wenig in den Hintergrund geraten.

Mit dem Gesamtkonzept von „Openminded?!“ hat Roger Shah dennoch direkt ins Schwarze getroffen. Nicht nur sein Mut zur Veränderung und der Crossover-Charakter sind lobenswert, auch sonst hat er gegenüber dem noch recht zusammengewürfelten „Songbook“ einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Die Produktionen sind ausgefeilter und facettenreicher, die Auswahl der Vokalisten noch brillianter. Keine Frage, die Album Mixes allein wären für die meisten Fans ein gewaltiger Kulturschock. Doch im Zusammenspiel mit den Club-Versionen, die immer wieder mal den altbekannten Shah-Sound durchscheinen lassen, ergibt sich ein stimmiges Ganzes. Wie open-minded man ist, sollte daher nicht darüber entscheiden, ob das Album gekauft wird oder nicht, sondern eher, welche der beiden CDs öfter im Player landet!

VÖ: 29.07.2011
Armada Music (rough trade)
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