Interview mit Astronautalis

Astronautalis

Als Kritikerliebling und legitimer Nachfolger von Beck hat sich Charles Andrew Bothwell unter seinem Künstlernamen Astronautalis bereits weit über die Grenzen seiner Heimatstadt Minneapolis, Minnesota einen Namen gemacht. Irgendwo zwischen HipHop, Folk und Singer/Songwriter sprengt er Genre-Grenzen zwischen scharfzüngigen Rhymes, authentischem Storytelling und dezentem Pop-Appeal. Was im März 2009 auf „Pomegranate“ bereits hervorragend funktioniert hat, wird nun auf seinem vierten Album „This Is Our Science“ vertieft. Im Interview verrät Astronautalis, was es mit der wissenschaftlichen Ebene seiner neuen Platte auf sich hat, und wie er versucht, das Innenleben eines Künstlers seinen Hörern zugänglich zu machen.

Bist du mit deinem Album "This Is Our Science" zufrieden, oder hörst du als Perfektionist immer noch Fehler heraus, die du gerne ausbügeln würdest?

Meine Arbeit ist nie getan, ein Album ist nie perfekt. Man kommt nur an einen Punkt, an dem du dir nicht vorstellen kannst, noch etwas zu ändern. Wenn dieser Punkt gekommen ist, muss ich das Album gehen lassen und es so mögen, wie es ist. Ich bin sehr stolz auf „This Is Our Science“. Eine Zeit lang wollte ich Teile davon ändern, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, welche das waren. Somit lasse ich es so, wie es ist, genieße es als einen Moment, der in Stein gemeißelt wurde, und bewege mich auf mein nächstes Ziel zu.

Woher kommt dein Künstlername "Astronautalis"?

Als ich 15 war, dachte ich, es klänge cool. Nun muss ich mich damit herumschlagen. Erinner dich an das, was du mit 15 cool fandest, und stell dir vor, du müsstest dich den Rest deines Lebens damit herumschlagen. Verdammt. Mist.

Du hast deine Karriere als Freestyle-Rapper begonnen. Wie wurdest du Teil dieser Szene, wenn man es so nennen will, und wann hast du gemerkt, dass du eigentlich auch Songs schreiben und aufnehmen kannst?

Ich begann vor 18 Jahren zu rappen. Im Vergleich zu heute war die Rap-Szene ganz anders, nur wenige weiße Kids freestylten damals. Für einen Jungen, der in einem Außenbezirk einer am Strand gelegenen Stadt im Süden der USA aufwuchs, war die HipHop-Kultur so ziemlich das Exotischste, das man sich vorstellen kann. Es hat mich fasziniert, weil es so fremd, seltsam und spannend war. Für mich war es ein Handwerk, bevor es eine Kunst wurde. Ich liebte die Fähigkeit, rappen zu können und verpasste mir fast sechs Jahre durch Battles und Freestyling einen gewissen Feinschliff, bevor ich mich der Kunst und dem Songwriting des Raps widmete. Erst bei meinem dritten Album fühlte ich mich in diesem Bereich wohl.

"This Is Our Science" ist dein erstes Album für Fake Four, Inc. Wie ist es zur Zusammenarbeit mit diesem Label gekommen?

Ich bin ein großer Fan von Ceschi, dem das Label gehört, und ich habe einige Freunde, die bei Fake Four, Inc. unter Vertrag sind und die Firma als überaus künstlerfreundlich gelobt haben. Als die Beziehung mit meinem alten Label in die Brüche gingen, unterbreitete Fake Four mir ein großartiges Angebot und viele Versprechen – die Entscheidung fiel mir leicht.

Wie gestaltete sich das Songwriting für das Album und wie schreibst du generell? Machst du dir Notizen, wo auch immer du hingehst, und fügst die einzelnen Zeilen im Anschluss wie ein Puzzle zusammen, oder setzt du dich vor ein Blatt Papier bzw. deinen Computer und versuchst so viel wie möglich in einer Sitzung zu schreiben?

Ich recherchiere ausgiebig, bevor ich zu schreiben beginn. Meine Musik ist weniger durch den künstlerischen Prozess des Jammens als durch den akademischen Prozess der Entwicklung und Anfertigung von Thesen beeinflusst. Ich verbringe viel Zeit damit, zu lesen, nachzuforschen und mir Notizen zu machen, um das Ziel und die These eines Albums zu entwickeln. Sobald ich mir dieses Wissen angeeignet habe, folgen die Worte relativ schnell hinterher. Sie fliegen mir jedoch nicht zu; all die Recherche dieser Welt verhindert es nicht, dass ich die ganze Nacht wach bleibe und beinahe wahnsinnig werde, weil mir die letzte Zeile eines Songs nicht einfallen will. Das wird wohl immer so bleiben.

Wofür steht der Albumtitel "This Is Our Science" und welchem übergeordneten Konzept oder Thema folgen die Lyrics?

„This Is Our Science“, als Titel und als Album, behandelt die Parallelen zwischen den Entbehrungen und dem Antrieb hinter dem Prozess der wissenschaftlichen Forschung und Untersuchung, sowie den Entbehrungen und dem Antrieb hinter dem Prozess des künstlerischen und des persönlichen Wachstums. Eines Tages, nachdem ich beinahe acht Jahre, in denen ich Kunst als Beruf ausübte, rund um die Welt gereist war, blickte ich mich um und bemerkte, das viele meiner Freunde und ich ziemlich viel vorzuzeigen haben, das wir uns durch unsere Hingabe und unsere Entbehrungen erarbeitet haben, und ich fühlte, dass man dies untersuchen und aufdecken musste. In der Wissenschaft ist es leicht, eine Entdeckung zu machen, den Beweis dafür unter dem Mikroskop bzw. die Formel dazu auf der Tafel zu betrachten, und die Entdeckung sowie den Weg dorthin zu würdigen. Es ist jedoch schwer zu verstehen, was im Kopf und im Herzen eines Künstlers vorgeht, bis er dorthin gelangt, wo er heute ist. Ich habe, dieser Reise nachzugehen.

Im Vergleich zu vielen anderen Rappern singst du nicht nur, du singst auch verdammt gut, wobei ich aus eigener Erfahrung weiß, wie schwer es ist, seine Singstimme zu entdecken. Wie schwer war dieser Prozess für dich und hast du irgendeine Form der Ausbildung enossen?

Mein ganzes Leben wurde mir eingebläut, ich hätte kein musikalisches Gehör und würde nie singen können. Musiklehrer auf öffentlichen Schulen sind oft furchtbar verbitterte und faule Menschen. Erst als ich aufs College kam, um Theaterregie zu studieren, erhielt ich eine Ausbildung, wie man auf der Bühne zu sprechen hat. Während diesem Training fand ich meine Stimme. Das waren allerdings keine Gesangsstunden, nur Sprachtraining, aber es hat mir einiges über meinen Stimmumfang und meine natürliche Stimme gelehrt. Wenn du das einmal herausgefunden hast, ist es zum Gesang ein sehr einfacher Schritt. Jeder kann singen, man muss nur seine Stimme finden, die tief in einem steckt, begraben unter Jahren an schlechten Erfahrungen und Schichten an Furcht. Ich schätze mich glücklich, diese Ausbildung erfahren zu haben, es war eines der größten Geschenke, das ich je bekommen habe.

Dmitri Mendeleev erarbeitete das erste Periodensystem der Elemente. Wie passen sein Leben und er als Person zum gleichnamigen Song?

Der Legende nach erschien ihm die Idee zum Periodensystem in einem Traum, was die gängige Debatte auslöste, ob er es erschaffen oder entdeckt hat. Die eine Seite nimmt an, dass er das Universum auf diese elegante logische Art und Weise ordnete, die andere Seite vermutet, dass es immer schon existierte und auf jemanden mit dem entsprechenden Blick warte, der es zu sehen vermochte. Ich liebe diesen Konflikt: Liegt es an uns, die Welt zu erschaffen, oder liegt es an uns, sie zu entdecken? Beide sind wahrlich schöne Konzepte.

Zwar bin ich mir bewusst, wie gefährlich Vergleiche sind, aber lass mich dennoch die Namen Beck, Everlast und Conor Oberst einwerfen, die mir beim Durchhören von "This Is Our Science" durch den Kopf gegangen sind. Was hältst du von diesen Vergleichen bzw. Vergleichen an sich und welche Künstler haben dich tatsächlich maßgeblich beeinflusst?

Man benötigt immer einen Kontext – der Mensch ist ein ordnungsliebendes Wesen, die Informationen in unserem Gehirn müssen in sorgfältig abgegrenzten Paketen abgelegt sein, weswegen es mich überhaupt nicht stört, wenn man mich mit anderen Künstlern vergleicht. Zwar kenne ich die von dir genannten Musiker, aber sie haben wenig bis gar nichts mit meinem Werk zu tun. Das ist für mich in Ordnung, denn mein Kontext wird und soll niemals deiner sein. Mich hat vor allem die Musik von Bill Callahan, The Clash, Young Jeezy, Rachel’s und Doomtree beeinflusst. Ebenso werden die Texte von Mark Helprin immer eine große Rolle in meinen Arbeiten spielen.

Wie sieht es mit den Plänen eines gemeinsamen Four Fists-Albums mit P.O.S. aus?

Es wird bald soweit sein.

Wie sehen deine Pläne für die kommenden Wochen und Monate aus?

Touren, touren, touren, touren und touren. Eventuell lasse ich mir zwischendurch das eine oder andere Mal die Haare schneiden.

Was macht Astronautalis einzigartig und hörenswert?

Das habe nicht ich zu entscheiden. Ich kann dir nicht sagen, warum du dir meine Musik anhören sollst. Ich bin kein Vertreter, ich bin Musiker. Alles, was ich tun kann, ist die bestmöglichste Musik zu machen und hoffen, dass dir die Musik selbst sagst, warum du ihr zuhören sollst.

Die letzten Worte gehören dir:

Spring Break forever.

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