Bosse – Kraniche

Bosse

Es spricht schon für Axel Bosses Musik. Während andere Künstler nach einem fulminanten Start in den Charts mit jeder weiteren Veröffentlichung federn lassen müssen, etabliert sich der gebürtige Bielefelder Sänger und Songwriter von Album zu Album mehr in der deutschen Musikszene. „Schönste Zeit“, das erste Lebenszeichen nach eineinhalb Jahren Kreativpause und Lead-Single des neuen Albums „Kraniche“, pulverisierte seine bisherige Höchstposition in den Single-Charts gleich in der ersten Woche (#29) und lässt erahnen, zu was die dazugehörige LP im Stande sein könnte.

Rein musikalisch spiegelt der Vorgeschmack „Schönste Zeit“ die grobe Marschrichtung des Albums ziemlich gut wieder. So kann Axel Bosse seinen Aufenthalt in Istanbul auch getrost als „schönste Zeit, weil alles dort begann“ bezeichnen, da er am Bosporus die Ideen für das nunmehr fünfte Album sammelte: sowohl die inhaltlichen, als auch die handwerklichen. Der alte Geschichtenerzähler Bosse verknüpft seine Texte nunmehr mit neuen Instrumenten und arrangiert sie allesamt eine Nummer größer als noch auf „Wartesaal“. Auffälligster Titel in dieser Hinsicht ist mit Sicherheit „Istanbul“, das sich durch die Mischung aus orientalischer Melodie und leider etwas zu viel Pathos vor allem im Chorus zur eher durchschnittlichen Mitgröhl-Nummer entwickelt. Wesentlich besser setzt Axel Bosse seine neu gewonnenen Endrücke in „Alter Affe Angst“ um. Hier passt alles perfekt zusammen: Da ist einerseits die Lehre, dass einem zu viele Ängste vor jeglicher möglichen Gefahr die Unbeschwertheit im Leben nehmen, und die textliche Darstellung dessen als alter Affe, der mit einem so lange tanzt, bis man den Boden unter den Füßen verliert. Andererseits wirkt das Instrumental u.a. durch den Einsatz von Streich- und Blechblasinstrumenten sehr erhaben und ausgereift, und erlebt seinen Höhepunkt im dramatischen Mittelteil in Kombination mit einem kurzen Choreinsatz.

Nachhaltigen Eindruck scheint auch die letztjährige Zusammenarbeit mit dem Elektro-Produzenten Oliver Koletzki hinterlassen zu haben. In „Vive La Danse“ schlägt Bosse unerwartet dancelastige Töne an und zeichnet das Portrait eines Mädchens, welches nicht zur Ruhe kommt und sich nirgendwo zu Hause fühlt. Auch hier überzeugt wieder vor allem der Mittelteil mit der Instrumentierung aus Klavier und Schlagzeug. Mehr Evolution als Revolution ist die Mid-Tempo-Nummer „Vier Leben“, in der Bosse die Hektik des modernen Lebens kritisiert. Vor allem zu Beginn wird der Song demonstrativ ruhig und dezent von einem Klavier begleitet. Im Lauf seiner vier Minuten nimmt „Vier Leben“ aber etwas an Fahrt auf und beherbergt – im wiederholt sehr gelungenen Mittelteil – Axel Bosses wohl größte gesangliche Leistung („ach man sieht doch das Leben vor lauter Leben nicht“) auf dem gesamten Album.

Während Bosse in „Wartesaal“ noch auf das Glücklichwerden gewartet hat, scheint er es auf „Kraniche“ gefunden zu haben. Das runde Album wartet mit einigen musikalischen Überraschungen auf. Auch wenn nicht jedes der instrumentellen Experimente glückt, sind die Worte aus Axel Bosses Feder nach wie vor äußerst stark und lassen quasi automatisch Filme vor dem geistigen Auge laufen. Die Songs wirken mit ein paar Ausnahmen allesamt wesentlich aufwendiger produziert als das bisherige Material und verleihen dem Album fast schon internationales Format, ohne jedoch zu sehr von den alten Tugenden Bosses Abstand zu nehmen.

Bosse - Kraniche

Kraniche
VÖ: 08.03.2013
Vertigo Berlin (Universal Music)

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