ZZ Top – The Complete Studio Albums 1970-1990 (Teil 2)

ZZ Top

Ob als gestandene Rock’n’Roll-Band, Blues-Liebhaber, Stoner-Vorboten oder 80s-Granden – der Ruf des texanischen Trios ZZ Top wuchs mit den Jahren. Hinter zwei mächtigen Bärten und einem Beard versteckt sich unheimlich viel Geschichte, die nun aufgearbeitet wird. „The Complete Studio Albums 1970-1990“ präsentiert die ersten zehn Alben des Trios in einer stabilen Clamshell-Box zum günstigen Preis (ca. 30 Euro), komplett mit Pappschubern, die dem jeweiligen Original-Artwork entsprechen und entsprechend im Fall von „Tres Hombres“ und „Tejas“ gar mit Klappcovern ausgestattet wurden. Noch schöner: Man verzichtete auf die kontroversen, blutleeren 80s-Mixes und rekonstrurierte die Original-Audio-Tape-Versionen; „ZZ Top’s First Album“, „Rio Grande Mud“ und „Tejas“ sind sogar erstmals in dieser Form erhältlich. Im zweiten von zwei Teilen geht es um den großen Durchbruch der Texaner und die kreative Dürreperiode danach.

Degüello (1979)
Nach „Tejas“ brauchten die drei Texaner eine Auszeit. Gerade Billy Gibbons zog sich lange zurück nach Europa, der Kontakt zu seinen beiden Mitstreitern brach zeitweilig ab. Den Bart ließ er sich, wie auch Dusty Hill, wachsen, die ikonischen Zwillings-Rauschebärte ZZ Tops waren geboren. Zurück im Studio startete man mit „Degüello“ endlich wieder durch, auch wenn längst nicht jeder Song funktioniert. Da wäre beispielsweise der erstmalige Synthesizer-Einsatz in „Cheap Sunglasses“, ein offensichtlich notwendiges Übel, das den Sound des Trios über Jahre hinweg bestimmen wird und den an sich entspannten Rock-Anteil in den Hintergrund rücken lässt. Ignoriert man die Effekt-beladenen Vocals, macht „I’m Bad, I’m Nationwide“ als dreckiger Blueser verdammt viel Spaß. „She Loves My Automobile“ erinnert an die Anfänge der Band, „Hi-Fi Mama“ bietet Rock’n’Roll in Reinkultur. Beide Cover-Versionen („I Thank You“ von Sam & Dave und „Dust My Broom“ von Robert Johnson) übertreffen Unsäglichkeiten wie das selbstverliebte Pseudo-Song-Konstrukt „Manic Mechanic“ – humoriger Einfall hin oder her – um Welten. Die Richtung stimmte zumindest.

El Loco (1981)
Natürlich ist nicht alles Gold, was glänzt: „El Loco“ erwies sich als Bärendienst für ZZ Top. Man stelle sich eine klangliche Weiterführung von „Degüello“ mit der Outtake-Qualität von „Tejas“ vor. Klingt überspitzt? Vermutlich liegt es daran, weil den Mannen aus dem Süden dieses Mal herzlich wenig gelang. Man nahm isoliert von einander im Studio auf (vergangene Platten wurden Seite an Seite eingerockt) und spielte mit Overdubs. Der schräge Humor wurde nun deutlich plakativer in die Songtitel gepackt („Tube Snake Boogie“, „Pearl Necklace“), die Synthesizer geschärft. Warum man jedoch auf die Songs an sich vergessen hat, bleibt offen. „Party On The Patio“ muss als Hoffnungsschimmer durchgehen, hätte auf „Degüello“ aber vermutlich keinen Platz gefunden. Auch „I Wanna Drive You Home“ und „It’s So Hard“ kann man halbwegs hören. Was sich ZZ Top bei der abscheulich seichten Ballade „Leila“ gedacht haben, bleibt wohl ihr Geheimnis.

Eliminator (1983)
Man war nun also am Boden angekommen, nichts ging mehr. Oder doch? Wie aus dem Nichts riss „Eliminator“ die 80er Jahre an sich, heimste für seine Clips diverse MTV-Awards ein und wurde in den USA mit Diamant für zehn Millionen verkaufte Exemplare ausgezeichnet. Der Grund ist ein einfacher: ZZ Top hatten ihren Sound für das synthetische Jahrzehnt gefunden, wenngleich vom Groove und der Blues-Leidenschaft der Anfangszeit kaum etwas übrig geblieben ist. Des einen Freud, des anderen Leid: Hits hat „Eliminator“ wie sonst keine Platte der Texaner. Gewissermaßen typisch für die Ära ist „Legs“, das zwar die Jahre nicht so gut überdauert hat wie so manch anderer Track („Gimme All Your Lovin“ und das mit Billy Gibbons‘ eindrucksvoller Gitarrenarbeit ausgestattete „Sharp Dressed Man“ sind nun mal waschechte Klassiker), mit seinem Synthi-Einsatz und einer Prise Drumcomputer perfekt in die 80er Jahre passt. Richtige Ausfälle gibt es dieses Mal nicht, dafür viel Mittelmaß („I Got The Six“, „TV Dinners“) und einen finalen Rückblick auf die guten alten Zeiten. Der Boogie „If I Could Only Flag Her Down“ und der bissige, hochtrabende Rocker „Bad Girl“ hätten auf „Degüello“ und davor passen können.

Afterburner (1985)
Nach dem überraschenden Erfolg wollte man – wenig überraschend – an die erstaunlichen Verkaufszahlen von „Eliminator“ anknüpfen, indem man die Platte weitestgehend kopiert. Natürlich passte der noch künstlichere Sound perfekt zum Zeitgeist, wohl aber nicht zur dreckigen Blues-Band aus dem Süden. „Stages“ klingt wie eine Antwort auf Van Halens „Jump“ und war, wie auch der erstaunlich anonym wirkende Opener „Sleeping Bag“, ein großer Hit. Dass ZZ Top dabei waren, sich selbst zu zerlegen, konnte man hören. Ob nun von Seiten der Band oder von jener der Plattenfirma: Dass man den großen Erfolg wiederholen wollte, ist verständlich. Was bei „Eliminator“ jedoch gestimmt hat (Songs, Sound, Auftreten, Faktor X), fehlt „Afterburner“ über weite Strecken. Jene Band, die sich mit der Schmalzballade „Rough Boy“ selbst zu parodieren scheint, ist für „Tres Hombres“ verantwortlich; das sollte man nicht vergessen. „Dipping Low (In The Lap Of Luxury)“ packt die Gesangsharmonien von „Gimme All Your Lovin“ aus, „Velcro Fly“ als Synthi-Tanz hat das obligatorisch-witzige Wortspiel an Bord. Selbst der versuchte Arschtritt „Delirious“ klingt trotz aller Bemühungen klinisch und kalt. Mund abwischen, weitermachen.

Recycler (1990)
Fünf Jahre nach „Afterburner“ taucht (als Abschluss dieses Boxsets) ein Album mit dem Titel „Recycler“ auf. Angstschweiß tritt auf die Stirn. Wagen ZZ Top etwa den Abklatsch vom Abklatsch? Ganz verschont von einem Aufguss des 80er-Sounds bleibt man nicht, obwohl sich die Texaner endlich wieder in die richtige Richtung zu bewegen scheinen. „Concrete And Steel“ entpuppt sich als geradliniger, schnörkelloser Rocksong, der ohne Firlefanz auskommt, dafür auf den guten, alten Gevatter Rock setzt. Der Blues-Boogie „My Head’s In Mississippi“ knüpft ebenso wieder an die Wurzeln der Band an, dazu kommt der 80s-Rocker „Burger Man“. Klar, die Drums klingen arg synthetisch und überperfekt, das räudige Riff hätte allerdings auch eine Dekade zuvor funktioniert. Disco-Fehltrippe wie „Give It Up“ bleiben die Ausnahme, denn ZZ Top halten sich mit dieser Abkehr vom großen kommerziellen Erfolg, wie sie unter anderem das Blues getränkte „Penthouse Eyes“ verkörpert, halbwegs schadlos. Für Platin reichte es in den USA dennoch, „Recycler“ konnte den Erfolg seiner beiden Vorgänger nicht annähernd wiederholen.

Zwischen dem Übergang in eine neue Ära, unwirklichen Verkaufszahlen und der kreativen Dürre danach waren die 80er Jaher eine bewegte Zeit für ZZ Top, im Rahmen dieses Boxsets ansehnlich festgehalten. „The Complete Studio Albums 1970-1990“ ist gerade, aber nicht nur für Einsteiger das Geld wert. Zehn Alben zum günstigen Preis von 30 Euro – eine feine Sache. Gerade ‚fortgeschrittene‘ ZZ Top-Sammler werden angesichts der im ersten Teil erwähnten Original Masters zugreifen. Die Aufmachung geht in Ordnung, Bonus-Material, Booklets oder Liner Notes vermisst man leider. Angesichts der kompakten Ausstattung und Gestaltung dieses Pakets kann man das jedoch problemlos verschmerzen.

ZZ Top - The Complete Studio Albums 1970-1990

The Complete Studio Albums 1970-1990
VÖ: 07.06.2013
Warner Bros. Records (Warner Music)

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