Interview mit Tom und Micha von Adolar

Adolar

Heute schon Pizza gegessen und Captain Planet gehört? Auf ihrem dritten Album „Die Kälte der neuen Biederkeit“ geben sich Adolar eine Spur direkter und geradliniger, tauschen Schrammel-Noise gegen bissigen Indie Rock. Mit „Halleluja“ treten sie außerdem beim Bundesvision Song Contest für Sachsen-Anhalt an. Wir sprachen mit Sänger / Bassist Tom Mischok und Gitarrist Micha Cyris über die neue Biederkeit per se, Zuckerwatte und eingeseifte Bühnen sowie Hygiene-Kontrollen in einer Uniklinik.

Hallo und vielen Dank für eure Zeit. Ich darf euch zunächst zu eurer hervorragenden neuen Platte gratulieren – wie zufrieden seid ihr selbst mit der Platte und den Reaktionen darauf? Ärgert man sich im Nachhinein über Kleinigkeiten, die man glaubt, besser hätte machen zu können, oder ist das Album als Momentaufnahme für euch perfekt?

Tom:
Vielen Dank! Die ersten Reaktionen darauf fühlen sich gut an und irgendwie sind mir die positiven Rezensionen zum ersten Mal nicht peinlich. Das war vorher oft irgendwie so. Das Album mag ich weiterhin, sodass ich da auch nichts ändern bräuchte. Ich ärgere mich höchstens über Video-Interviews, die jetzt ans Tageslicht kommen und in denen ich zu aufgeregt, unkonzentriert oder nicht nüchtern genug war. Ich kann mich da nicht reden hören oder sehen. Igitt! In der Zukunft vielleicht einfach mal Gameboy spielen und die anderen machen lassen.

Micha:
Ein dickes Dankeschön auch von mir! Klar, man kann immer noch krassere Sachen machen und Songs immer weiter ausschmücken, aber irgendwann muss man ja auch mal fertig werden mit so einem Album. Eigentlich ist es auch ganz gut, wenn man selbst denkt: „Da und da, an der und der Stelle hätte man das und das noch besser machen können!“ Da keimt dann so ein Ehrgeiz auf, den man wieder gut in die nächste Platte stecken kann. Bei meiner Sprechstimme geht’s mir ähnlich wie Tom: Ich kann die eigentlich nie so wirklich selbst hören. Aber das können, glaube ich, viele nicht. Also die eigene Stimme hören, meine ich. Ich find’s trotzdem nicht peinlich. Ist halt auch ein Lernprozess, wie man mit Interviewsituationen einigermaßen souverän, aber nicht unbedingt abgedroschen umgeht.

Wann wart ihr zum letzten Mal Pizza essen, während im Hintergrund Captain Planet lief?

Tom:
Ursprünglich wollte ich in dem Song „Rauchen“ „Pilze“ statt „Pizza“ singen. Noch ursprünglicher wollte ich „Tocotronic“ statt „Captain Planet“ singen. Jetzt erinnere ich mich gerade an eine Zugfahrt von 2005. Mein Kumpel Elvis und ich hörten da Captain Planet, ohne Pizza. Und jetzt erinnere ich mich an eine Pizza von 2001. Mein Kumpel Andi und ich saßen in seinem Kinderzimmer und bestellten T-Shirts im EMP.

Micha:
Hättest du „Pilze“ und „Adolar“ gesungen, wäre es der Wahrheit am nächsten gekommen. Zusammen rauchen und dabei einen unglaublich schönen Song mit einem guten Freund hören, ist es etwas Magisches. Hatte das in der Vergangenheit auch schon oft, aber nicht mit Pizza, sondern eben mit Tabak, anderen Emo-Bands und damaligen Freunden, die teilweise immer noch gute Freunde sind.

Auffällig ist eine milde musikalische Entschlackung und De-Eskalation, die sich in eurem Sound manifestiert hat. Das ruppige Auftreten eures Debüts wich einer Linearisierung im Kleinen; ihr seid nach wie vor unberechenbar und doch verhältnismäßig geordnet. War dies ein bewusster Prozess, oder hat sich dies organisch, sprich 'von selbst', entwickelt?

Tom:
Das Wort Entschlackung klingt soooo schön! Frank, unser Schlagzeuger, wurde in der Schule immer Schlacki genannt und er trägt auch die Schuld an allem, was du gerade ansprichst.

Micha:
Jaja, unser Schlackzeuger. Sorry, für den schlechten Wortwitz. Kam organisch und einfach so.

Musikalisch sind Adolar auf der neuen Platte angenehm breit aufgestellt. So klingt "Kanüle" beispielsweise ein wenig nach Interpol. Welche Bands / Alben waren als Inspiration maßgeblich bzw. was habt ihr im Vorfeld der Aufnahmen gehört?

Tom:
Im Zusammenhang mit „Kanüle“ habe ich Interpol letztens schon einmal irgendwo gelesen. Die habe ich aber noch nie gehört. Ich kenne keinen ihrer Songs und die anderen garantiert auch nicht. Ich glaube, ich glaube, ich glaube, ich habe bei meiner Ex-Freundin vor dem Einschlafen viel Mumford & Sons, Radical Face und We Were Promised Jetpacks gehört. Auf meinem MP3-Player lief ein ganzes Jahr lang nur „Message To Bears“, und im Bandbus die Band Queen und jede Menge HipHop.

Micha:
Es kommen komischerweise immer Vergleiche zu Bands, die wir nicht gut bis gar nicht kennen. Interpol kann ja sich ja auf Dauer schon ein bisschen ziehen. Aber ist ganz gut, dass man mal so einen Moment auf der Platte hat. Die Abwechslung führt bei uns schließlich immer noch ein strenges Regiment. Queen war auf jeden Fall mal wieder eine Entdeckung. Und Toto. Und Everything Everything. Bei denen bewundere ich, dass sie mit so komplexer Musik in die englischen Charts gekommen sind.

Gibt es bei euch einen Haupt-Songwriter bzw. eine Haupt-Songwriterin – egal ob für die Musik oder die Texte – oder arbeitet ihr alles gemeinsam aus?

Tom:
Man kommt nie einfach so an den anderen vorbei.

Micha:
Ja. Sonst wären wohl einige nicht so tolle Schunkel- oder Schrammelnummern entstanden. Tom textet und wir helfen ihm ab und an bei Formulierungen oder bei der Wortwahl aus. Jan schreibt ja seit unserer ersten EP „Planet Rapidia“ gar keine Texte mehr. Schade.

Wie kalt ist die neue Biederkeit? Anders gefragt: Wofür steht der Albumtitel und was versteht ihr unter der besungenen neuen Form der Biederkeit?

Tom:
Die Überraschungslosigkeit; ununterhaltsame Sinnlosigkeit; die 1000. Frage einer Wildfremden nach meinem Studiengang und den damit verbundenen Plänen; Studentinnen und Auto-Freaks mit ihren politische Ansichten, die Nazi-Deutschland für übermorgen wieder möglich machen. Der Albumtitel steht für tiefe Trauer und einen Bauch, der sich anfühlt, als würde er gleich platzen.

Micha:
Jeder fühlt sich wohl in seinem sicher geglaubten Kokon aus Gewohnheit und Alltag. Irgendwie kann man das auch an kleinen Situationen festmachen: Letztes Jahr haben wir zum Abschied unseres alten Labels unterm durchschnitt Kollegas „Mondfinsternis“ auf der Abschiedsfeier gecovert. Das sind einfach Sachen, die man sonst nicht macht. Alle Szene-Codes werden über den Haufen geworfen. Das ist auch mal gut so. So kann der eigene manchmal ebenfalls neokonservative Kreis des linken Spektrums mal wieder seine Ideale hinterfragen.

Gibt es so etwas wie einen lyrischen Überbegriff, möglicherweise gar ein Konzept auf diesem Album, dem die Texte folgen?

Tom:
Die Kälte.

Micha:
Dem ist etwas hinzuzufügen. (siehe Albumtitel!)

Erste Single ist "Halleluja", zu dem auch ein Video gedreht wurde. Nicht nur das, ihr tretet damit am 26. September beim Bundesvision Song Contest für Sachsen-Anhalt auf. Vorneweg: Warum gerade dieser Song (als Auskopplung und BVSC-Beitrag)?

Tom:
Weil es wichtig ist. Oh, meine Mitbewohnerin kommt gerade rein und sagt: „In der Uniklinik gibt es einmal im Jahr so eine beschissene Hygiene-Kontrolle und wann ist die? Am Donnerstag! Und weil letztes Jahr irgendwelche Babies gestorben sind, muss ich jetzt kurz vor diesem Tag jede Ecke schrubben. Ach übrigens, hast du dir mal das Wahlprogramm der Rentner-Partei durchgelesen? Ganz geil, eigentlich! Ey und der russische Außenminister hat Kerry zugestimmt, dass Syrien seine ganzen Giftwaffen abgeben soll.“ Jetzt bin ich gut drauf!

Micha:
Ein Facebook-Eintrag, welcher Stellung zum Song bezieht, beschreibt den Grund unserer Wahl des Songs „Halleluja“ für den BuViSoCo ganz treffend: „Der Song ist sooooo alle Leute um mich herum!“ Oder so ähnlich. Mehr muss man dazu nicht sagen.

Wie ist es zu eurem Auftritt beim Bundesvision Song Contest gekommen? Habt ihr angefragt oder wurdet ihr angefragt?

Tom:
Ein Freund namens Florian gab den Leuten Demosongs.

Ihr tretet für das Bundesland Sachsen-Anhalt an. In bester BVSC-Tradition: Warum ist Sachsen-Anhalt das schönste Bundesland Deutschlands?

Tom:
Ich bin kein Patriot.

Micha:
Gegenfrage: Kommt einer eurer Redakteure zufällig aus dem Harz?

Eher nicht. Welche Erwartungen habt ihr an euren Auftritt und wie seht ihr das Teilnehmerfeld, das dieses Jahr mit besonders vielen weniger bekannten Künstlern aufwartet?

Tom:
Es wäre so toll, wenn es beim Bundesvisionsongcontest im Backstage kostenlose Zuckerwatte gäbe.

Micha:
Es wäre schön, wenn alle Teilnehmer, auch wir, auf einer eingeseiften Bühne performen müssten. Ich stell‘ mir die Verrenkungen und leichten Stürze recht lustig vor. Endlich mal wieder was Unterhaltsames im Fernsehen. Oder Gottschalk und Jauch gründen noch eine Band und springen einfach für uns ein…

Ihr geht ab Mitte Oktober auf große Deutschland-Tour – leider mit bloß einem Abstecher nach Österreich, dafür mit wechselnden Mitstreitern. Welchem Auftritt bzw. welcher Band fiebert ihr besonders entgegen?

Micha:
Ist zwar ’ne Standardantwort, aber es isso: Ich freu mich auf jedes einzelne Konzert!

Ganz generell gefragt: Wie sehen eure Pläne für die kommenden Wochen und Monate aus?

Tom:
Allen! Ich hoffe nur, dass auch Leute zu den Konzerten kommen. In bin doch so schlecht in Interviews. Manno.

Micha:
Schlechte Antwort: Wir haben ekelhafte Pläne. Im Repertoire auf der Tour. Auch nicht so geil. Mensch, bis hierhin wars doch gar nich so schlecht, Motti! Los, aufraffen, letzte Frage!

Eine möglichst unangenehme Frage zum Abschluss: Was macht Adolar einzigartig?

Tom:
Naja, öhm… Ja, ich hab’s! Meine dritte Brustwarze!

Micha:
Wir haben den Spitzenkandidat für die Bundestagswahl in unserer Band. Sie fragen sich, wer es ist und was er macht? Sein Name ist Jan Krieshammer und die Menschen liegen ihm besonders auf dem Herzen.

Zum tatsächlichen Abschluss überlasse ich euch das Feld für einige letzte Worte:

Tom:
Pro Asyl! Danke für das Interesse an uns und unserer Musik. Es ist alles so aufregend.

Micha:
Meine Hobbies sind und werden immer Radfahr’n und Backwar’n sein! Wir dürfen unseren Traum leben und danken jedem, der uns bis hierher beglitt. (schreibt man das so?)

Einmal mehr darf ich mich für eure Zeit bedanken. Im Namen der Leser und der Redaktion von beatblogger.de wünsche ich euch nur das Beste für den Album-Release und euren Auftritt beim Bundesvision Song Contest.

Tom:
Dank! Danke. Danke. Danke. Ich liebe dich!

Micha:
Ganz ruhig, Campi. Hier ist deine Wollmütze und dein Dreirad! Tschüssi!

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