Interview mit Fabio Lione von Angra

Angra

Seit 2013 ist der durch sein Schaffen bei Rhapsody Of Fire in der Metalszene weithin bekannte Fabio Lione der neue Sänger von Angra. Es ist nicht zuletzt auch sein charismatisches Gesangsorgan, das dem neuen Album „Secret Garden“ das gewisse Etwas verleiht. Im Interview mit beatblogger.de verrät er interessante Details zum Schaffensprozess des aktuellen Albums, zu zukünftigen Plänen und natürlich auch zum Wacken-Auftritt in diesem Jahr.

Hallo Fabio! Zuerst möchte ich dir und den anderen von Angra zu eurem tollen neuen Album "Secret Garden" gratulieren. Mir gefällt es besser als der Vorgänger "Aqua", vielleicht ist es sogar so gut wie "Rebirth".

Vielen Dank! Ich denke, die Band hat einen guten Job gemacht und das neue Album klingt frisch, hart, modern und abwechslungsreich – mit tollen neuen Songs!

Die Reaktionen der Presse sind bisher ja sehr positiv. Seid ihr erleichtert, dass die neue Scheibe so gut ankommt nach dem Stress der letzten Zeit, dem nur mittelmäßig bewerteten "Aqua" und den Problemen, die zum Sänger- und Drummerwechsel führten?

Ich denke, die Band hat zur Zeit eine sehr starke Phase. Und natürlich ist die Situation jetzt eine ganz andere. Wir haben ein tolles Line-Up, die Stimmung zwischen den Bandmitgliedern ist sehr gut. Wir sind einfach ein starkes Team, das gut zusammen arbeitet. Es freut uns, dass die Reaktionen so positiv ausfallen, und das überall. Natürlich wollen wir das Album jetzt in jeder Hinsicht supporten.

Euer neues Album unterscheidet sich ja doch etwas von den letzten Scheiben und überrascht mit einigen modernen Einflüssen, Gastsängern und einem mutigen Police-Cover. Wer brachte die Ideen für die Experimente ein?

Als wir mit dem Komponieren des neuen Albums begannen, wussten wir nur, dass wir dieses Mal etwas anders machen wollen – moderner und abwechslungsreicher. Zum größten Teil haben wir „Secret Garden“ auf Ilabelha, einer brasilianischen Insel, komponiert. Ich war dort für zwei Wochen zusammen mit allen Bandmitgliedern und jeder brachte Ideen ein. Wir haben Zeit damit verbracht, uns die Songs und Ideen anzuhören und haben darüber diskutiert. Ich erinnere mich daran, wie Rafael dann zu mir kam und die Idee für das Albenkonzept vorgeschlagen hat, und wie wir darüber diskutiert haben, einen Song zu covern. Ich habe der Band den Police-Song vorgeschlagen – in der Erwartung, dass niemand ein Police-Cover von Angra erwarten würde. Hinsichtlich der neuen Elemente in der Musik denke ich, dass jeder in der Band progressive Musik mag, einschließlich mir. Wahrscheinlich ist das Album daher etwas progressiver als die bisherigen geworden, und natürlich auch moderner und härter. Die Hörer bekommen viel Abwechslung hinsichtlich der Musik und auch der Stimmen geboten. Neben meiner Stimme kann man auch die von Rafael, Doro und Simone hören. Dies gibt dem Album eine große Farbvariation.

Die folkloristischen Einflüsse sind dieses Mal nicht so stark ausgeprägt, aber besonders zu Beginn doch vorhanden. Gehören die für euch einfach dazu?

Wahrscheinlich schon. Ich stimme allerdings zu, dass dieser Aspekt der Band dieses Mal etwas weniger zu hören ist. Das ist aber ganz natürlich, weil wir dieses Mal etwas Modernes komponieren wollten. Die Tatsache, dass man die typischen folkloristischen Einflüsse trotzdem noch raushören kann, bedeutet, dass wir unser Ziel, etwas Frisches und Neues zu erschaffen, ohne dabei unseren ureigenen Stil zu vernachlässigen, erreicht haben – und das ist sehr wichtig.

Beim Titelsong "Secret Garden" kann man die Stimme von Simone Simons (Epica) hören, während Doro Pesch bei "Crushing Room" singt. Wie kamt ihr mit diesen Sängerinnen in Kontakt? Kanntet ihr sie vorher schon?

Mit Simone habe ich viele Auftritte während meiner Zeit bei Kamelot im Jahr 2011 absolviert, daher bin ich persönlich sehr froh, dass sie am neuen Album mitgewirkt hat. Ich kenne sie und ihre Freunde und denke, dass sie einen tollen Job abgeliefert hat. Sie hat eine tolle Stimme! Doro wiederum ist ein toller Mensch, eine tolle Sängerin und eine gute Freundin der Band. Ich war sehr froh, dass sie etwas zum neuen Album beisteuern wollte. Ihre Stimme harmoniert meiner Meinung nach sehr gut mit der von Rafael – das Duett in „Crushing Room“ ist großartig. Ich denke, dass das Album durch die Gastsängerinnen einen Hauch von Theater und Oper gewinnt. Das passt sehr gut ins Konzept und verleiht der Scheibe einen Bonus. Mit so vielen unterschiedlichen Elementen, Stimmen und Stimmungen wird sich der Hörer nie langweilen.

Du hast ja gerade erwähnt, dass euer Gitarrist Rafael Bittencourt auf dem Album ebenfalls singt. War das ein einmaliges Experiment oder werden wir ihn in Zukunft häufiger singen hören?

Rafael wollte schon immer singen. Und er hat auch wirklich eine gute Singstimme. Dieses Mal war die Band einverstanden, dass Rafael mehrere Songs auf „Secret Garden“ einsingt – und es war einfach perfekt. Es passt zur Story, es verleiht dem Album mehr Abwechslung und Rafael ist glücklich. Wir wissen nicht, ob wir ihn zukünftig noch einmal bitten werden, neue Songs einzusingen, aber uns gefällt das Resultat und es war gut für dieses Album. Mal sehen…

"Synchronicity II" von The Police ist ja eher ein ungewöhnlicher Song, um ihn zu covern. Wie kam es, dass du ausgerechnet diesen Song vorgeschlagen hast? War das eine spontane Idee?

Ehrlich gesagt war das der erste Song, den ich in meinem Leben von Police gehört habe. Daher habe ich den anderen auch genau diesen Titel vorgeschlagen. Jeder in der Band mochte die Idee – und das Resultat ist klasse geworden. Ich denke, wir haben die richtige Wahl getroffen. Es macht mir Spaß, den fertigen Song anzuhören und ich bin wirklich froh, dass wir ein tolles Cover dieses Songs aufgenommen haben.

Bemerkenswert ist auch die schöne Covergestaltung von "Secret Garden", erstellt von Rodrigo Bastos Didier. Das führt mich zu der Frage, ob es ein größeres Konzept oder eine Geschichte hinter "Secret Garden" gibt.

In erster Linie hat Rafael das Konzept ausgearbeitet. Im Intro hört man einen Autounfall, danach beginnt der erste Song. Die Geschichte ist nicht ganz einfach, aber ich mag sie sehr und denke, dass sie recht modern und interessant ist. Kurz gesagt ist der Fahrer des Autos ein Wissenschaftler bzw. Arzt, der bei dem Unfall seine Frau verliert. In allen Songs kann man seine Gedanken wahrnehmen und seine Depression spüren. Im Song „Storm Of Emotions“ singe ich z.B. aus der Sicht eines Engels, der zu dem Mann spricht, während Rafael die Rolle des Doktors übernimmt. Bei „Secret Garden“ schlüpft Simone in die Rolle der Ehefrau, die zu ihm nach ihrem Tod spricht. Letztlich erfährt der Hörer, wie dieser Mann leidet und denkt, er wird ihm folgen und dabei einen religiösen Pfad betreten können. Ich denke, dass das Thema sehr interessant ist und dass Rafael gute Arbeit abgeliefert hat.

Seid ihr insgesamt zufrieden mit dem neuen Album? Gibt es etwas, was ihr im Nachhinein anders gemacht hättet?

Ich denke, dass alle Bandmitglieder sehr zufrieden mit dem Ergebnis sind. Der Sound, die Produktion, die Songs, die Stimmung, die Stilvielfalt – alles ist sehr gut und wir haben erreicht, was wir wollten. Wir waren sehr entspannt und auch die Stimmung im Tonstudio bei Jens in Schweden war gut. Wir hatten eine tolle Zeit während der Aufnahme des Albums. Das einzige, was ich persönlich etwas schade finde, ist die Tatsache, dass ich bei „Secret Garden“ nicht im Duett mit Simone singen kann. Das vermisse ich etwas, aber andererseits ließe sich das ja live nachholen – oder bei einer zukünftigen Produktion.

Lass uns noch mal auf das Songwriting zu sprechen kommen. Du sagtest ja schon, dass ihr dieses Mal viel gemeinsam gearbeitet habt. Wer konnte sich denn dabei in welcher Form einbringen und komponiert ihr manche Lieder auch gemeinsam?

Wie ich schon sagte, haben wir etwa 70 % der Arbeit gemeinsam in einem Haus auf Ilabelha erledigt. Alle waren an der Diskussion beteiligt und haben Ideen eingebracht. Ich persönlich habe einige Melodien und Gesangslinien für etwa sechs Songs einbringen können. Rafael hat nahezu alle Lyrics geschrieben, Kiko und seine Frau haben auch einige komplette Songs einbringen können, wie z.B. den Song „Secret Garden“. Letzlich war jeder am Kompositionsprozess beteiligt, sogar Bruno, unser neuer Drummer, der am Song „Upper Levels“ beteiligt war.

Einige Zeit nachdem "Aqua" veröffentlicht wurde, verließ euch euer ehemaliger Sänger Edu Falaschi, um sich auf die Arbeit bei der Band Almah zu konzentrieren. Wie kam es, dass du der neue Angra-Sänger geworden bist? Hier in Europa bist du ja ziemlich berühmt.

Mit den Bandmitgliedern bin ich seit Jahren gut befreundet. 2013 hatten sie das Angebot, beim 70,000 Tons Of Metal aufzutreten, doch sie hatten damals keinen Sänger. Daraufhin nahmen sie den Kontakt zu mir auf und boten mir an, bei diesem Auftritt mitzuwirken. Es war ein tolles Konzert und daraufhin entschlossen wir uns, so weiterzumachen und weitere gemeinsame Konzerte zu absolvieren. Nach tollen Reaktionen seitens der Fans feierten wir das 20-jährige Jubiläum des Angra-Debütalbums „Angels Cry“ – dazu haben wir auch eine Live-DVD veröffentlicht. Nach einem großartigen Konzert in Sao Paulo kam den anderen Bandmitgliedern und auch dem Management der Gedanke, dass ich ein festes Bandmitglied bei Angra werden könnte. Ich bin froh, dass ich auch nach vielen Jahren so gut mit Kiko, Rafael, Felipe & Co. befreundet bin. Aber auch mit Edu sind sie noch befreundet und ich bin mir sicher, dass sie ihm für seine Band und seine Solokarriere nur das Beste wünschen. Und vielen Dank übrigens für das Kompliment!

Ich finde wirklich, dass sich deine Stimme sehr gut in den Angra-Sound einfügt sich und anhand deiner Beschreibung scheint ja auch die Zusammenarbeit innerhalb der Band sehr gut zu funktionieren.

Ich muss wirklich sagen, dass es sehr gut bei uns läuft. Wir schreiben tolle Songs miteinander, geben tolle Konzerte und wir sind bereit, unser neues Album so gut es nur geht zu supporten. Angra haben jetzt ein starkes Line-Up bestehend aus guten Freunden, jeder von uns ist glücklich hinsichtlich dieser neuen Ära der Bandgeschichte. 2015 wird das Jahr von Angra!

Du bist immer noch das Aushängeschild von Rhapsody Of Fire und singst auch für Vision Divine. Glaubst du, dass du trotz deiner Verpflichtungen für deine anderen Bands eine Dauerlösung als Sänger von Angra sein kannst? Hat du genug Zeit, um in drei Bands zu singen?

Nach meiner Ansicht gibt es keine Probleme hinsichtlich meines Wirkens bei Rhapsody Of Fire oder Vision Divine. In 2014 habe ich hinsichtlich meiner Zeiteinteilung wahre Wunder vollbracht, um ehrlich zu sein. Doch ich hatte nie Probleme damit. Ich habe den Bands, die ich liebe, satte 100 % gegeben und das tat ich gerne. Ich glaube wirklich, dass man viel erreichen kann, wenn man sich wirklich bemüht und das liebt, was man tut. Ich singe jetzt seit zwei Jahren für Angra und ich fühle mich dabei stärker und motivierter als je zuvor.

Ihr wart ja, wie schon erwähnt, anlässlich des 20-jährigen Jubiläums eures Debütalbums auf der "Angels Cry 20th Anniversary Tour". Habt ihr besondere Erfahrungen sammeln können? Wie kam die Tour bei den Fans an?

Jedem, der die Shows gesehen hat, mochte sie. Die meisten unserer Fans sagen, dass wir einige unserer besten Konzerte während der Tour absolviert hatten. Es war eine unglaubliche Energie auf der Bühne im Spiel und es gab viele besondere Momente während der Tour. Besonders das Konzert in Sao Paulo war großartig. Wir haben über drei Stunden und mit vielen Gästen gespielt, z.B. Tarja Turunen, Familia Lima und Uli Jon Roth, um nur einige zu nennen.

Gibt es Unterschiede zwischen euren europäischen Fans bzw. Konzertbesuchern und denen in Südamerika?

Natürlich gibt es da Unterschiede. Die Band ist wahrscheinlich wesentlich berühmter in Südamerika und ganz allgemein fallen die Reaktionen der Fans schon unterschiedlich aus. Ich denke, dass das ganz natürlich ist angesichts der Tatsache, dass wir eine brasilianische Band sind. Aber auch anderswo kommen Angra gut an. Ich denke, dass wir eine tolle Live-Band sind und wir sind schon auf die Fan-Reaktionen bei der Tour für unser neues Album gespannt.

2015 tretet ihr nach 1995, 1999 und 2002 zum vierten Mal beim Wacken Open Air auf. Wie waren eure bisherigen Wacken-Erfahrungen? Gefällt es euch in Deutschland?

Ich denke, dass die Band heute energiegeladener ist als damals und mit einer starken Platte mit harten Songs aufwarten kann. Das bedeutet, dass die deutschen Fans diese neue Angra-Äre wahrscheinlich noch mehr schätzen werden. Die Band hatte zwar immer gute Auftritte in Deutschland, doch der Sound war bisher etwas zu zart und süsslich für den allgemeinen deutschen Geschmack. Alle Bandmitglieder freuen sich darauf, wieder auf Wacken zu spielen. Wir sind uns sicher, dass es eine großartige Show wird. Wir werden dieses Mal einige ältere Sachen spielen, aber natürlich auch ein paar Songs vom neuen Album. Die positiven Reaktionen und Reviews geben uns da ein gutes Gefühl.

Du hast die nächste Tour erwähnt. Wird es sich dabei um eine Welttournee handeln? Wenn ja, kommt ihr dann auch nach Europa? Die letzte Tour, die auch nach Europa führte, liegt ja etwas zurück ("Aqua World Tour 2010").

Ja! Zur Zeit befindet sich das noch in der Planung und wir legen die Termine für die Shows fest. Die Tour wird uns nach Südamerika, nach Japan, in die USA (ProgPower Fest) und nach Europa führen. Um Wacken rum werden wir auch noch ein paar Konzerte in Italien geben. Und es sind auch noch ein paar andere interessante Dinge in Planung.

Was kann man als nächstes von Angra erwarten? Wird das nächste Lebenszeichen von euch schneller kommen als zuletzt?

Wir sind uns ziemlich sicher, dass zwischen „Secret Garden“ und dem nächsten Lebenszeichen von uns nicht wieder vier Jahre vergehen werden. Zur Zeit diskutieren wir einige Optionen – vielleicht ein Akustikalbum mit Orchesterunterstützung oder ein weiteres normales Album. Aber zur Zeit steht für uns natürlich die Promotion unseres aktuellen Albums im Mittelpunkt.

Ich bedanke mich herzlich für das Interview und die Beantwortung meiner Fragen und wünsche dir und der Band viel Glück und Erfolg für die Zukunft.

Vielen Dank! Ciao!

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