Kettcar – Ich vs. Wir

Kettcar

Darf man im Fall von Kettcar von einem Comeback sprechen? Eine kleine Wiederauferstehung ist dieses erste Album seit „Zwischen den Runden“ 2012 allemal. Man war mit der Platte unzufrieden, es gab gewisse Probleme innerhalb der Band und Frontmann Marcus Wiebusch stellte seine Mitstreiter mit dem Release seines Solo-Debüts schließlich vor vollendete Tatsachen. Mittlerweile stimmt aber wieder alles, und „Ich vs. Wir“, das mit Abstand politischste Album Kettcars, ist auch fertig geworden.

Politischer wollten sie werden, kritischer und näher am Zeitgeist dran – ein kniffliges Unterfangen, das „Sommer ’89“ ziemlich perfekt unter einen Hut bringt. Die Geschichte über den Fluchthelfer für DDR-Bürger, der Löcher in den Zaun an der österreichisch-ungarischen Grenze schnitt, ist heute aktueller denn je. Freilich darf man ob der unorthodoxen Songstruktur zweigeteilter Meinung sein, der an …But Alive erinnernde Spoken-Word-Stil und das weitestgehend kühle Arrangement passen aber tatsächlich wie Faust aufs Auge.

In „Wagenburg“ werden Kettcar noch deutlicher und rattern durch die egoistischen Fantasien der Selbstermächtigung von „Wir sind das Volk!“-Brüllern – eine pointierte wie spitzzüngige Abrechnung, in vergleichsweise entspannte Klänge gekleidet, auf die das Storytelling-Monster „Benzin und Kartoffelchips“ folgt. Wiebusch bedient sich Springsteen’scher narrativer Strukturen, begleitet von herrlich schrammelnden Gitarren und viel Gefühl. Ein „Das Gegenteil der Angst“ geht gleich mehrfach unter die Haut, während „Trostbrücke Süd“ – dieses Mal eine ganz andere Brücke – zwischen intensiver Atmosphäre und falschem Ende die Harke gegen ‚Scheißmusik‘ auspackt.

Zwar geht Kettcar musikalisch zwischendurch ein wenig die Puste aus – gewisse Strukturen wiederholen sich in der zweiten Albumhälfte gerne mal -, doch alleine schon aus textlichen Erwägungen ist dieses „Ich vs. Wir“ ein wichtiges wie mitreißendes Monster geworden. Zwischen mächtigen Hymnen und gekonntem Bruch mit narrativen Erwartungen pendelt sich die Band endlich wieder an der Speerspitze deutschsprachiger Gitarrenmusik ein. Kaum eine zweite Platte ist aktuell wichtiger zur Lage der Nation.

Kettcar - Ich vs. Wir

Ich vs. Wir
VÖ: 13.10.2017
Grand Hotel Van Cleef (Indigo)

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