Interview mit Oomph!-Frontmann Dero
Oomph! feiern 2008 rundes Jubiläum. Ihr bereits zehntes Studioalbum „Monster“ steht in den Startlöchern. Sowohl der Durchbruch mit „Augen auf“ als auch die Kontroverse um „Gott ist ein Popstar“ sind verdaut, man gibt sich offener denn je und wagt sogar die Rückkehr zu den Wurzeln mit EBM-Elementen. Obendrein nimmt man sich textlich und visuell kein Blatt vor den Mund, das Video zu „Beim ersten Mal tut’s immer weh“ wurde sogar aus dem Web verbannt. Frontmann Dero erklärt im Interview, dass Kunst provozieren muss, um relevant zu bleiben.
"Monster" ist das bereits zehnte Studioalbum. War dieses runde Jubiläum auch im Studio fühlbar?
Wir sind keine Zahlenfetischisten. Natürlich wussten wir das, haben aber kein Aufsehen darum betrieben. Wenn man das zu sehr verkopft, wird das Musik am Reißbrett. Der Druck wäre bei „GlaubeLiebeTod“ am Größten gewesen, aber der wurde uns von Seiten der Plattenfirma genommen. Auch dieses Mal ging es wieder sehr entspannt vor sich. Wir haben uns um die beste Kombination aus Bauchmusik und Kopfmusik bemüht.
Das neue Album trägt den Titel "Monster". Liegt es daran, dass die Platte so überdimensional genial ist, oder bezieht ihr euch auf Monster der Gesellschaft?
Uns ist immer wichtig, dass man die Titel verschieden auslegen kann. Bei „Monster“ ist das so. Naheliegend ist das Monster aus Film und Fernsehen, zum Beispiel Frankstein oder Zombies. Natürlich wollten wir auch ein Monster-Album machen, also ist der Titel nicht nur negativ besetzt. Thematisch begehe ich auch meine eigenen Monster, meine Leichen im Keller. Die Gesellschaft zeigt ebenfalls, dass sie Monster beherbergen kann. Amstetten ist ein Beispiel, wo die Medien aus einem Menschen ein Monster machen. Auch die Weltmärkte offenbaren momentan ihr monströses Gesicht.
Für das Cover habt ihr Einsendungen von Fans sondiert. Wie groß war der Rücklauf und warum habt ihr euch für das Kind mit der Schaufel entschieden?
Die Kreativität war unermesslich groß, wir konnten aus fast 800 Covers auswählen. Wir wollten kein offensichtliches Monster abbilden, auch wenn es da einige tolle Motive gegeben hätte. Das wäre wie schwarzer Adler auf schwarzem Grund. Das ausgewählte Cover spiegelt die gewünschte Subtilität wider. Der Junge stützt sich auf eine Schaufel, im Hintergrund sieht man eine wüstenähnliche Landschaft mit Bergen. Natürlich fragt man sich zuerst, was an diesem Cover monströs ist. Man sieht die Kampfesspuren, ein Hämatom am Arm und ein Cut unterm Auge. Offensichtlich hat ein Kampf stattgefunden, er hat die Schaufel in die Hand. Ist er das Monster? Hat er das Monster begraben? Ich finde Cover und Titel toll, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten zu geben.
Wie sieht es mit den Artworks für die Singles aus? Werden es Varianten des Albums sein oder werden die Designs der Zweit- oder Drittplatzierten zu sehen sein?
Wenn es sich anbietet, können wir einen unserer vielen Favoriten auswählen. Das ist mit Sicherheit nicht ausgeschlossen. Es war sowieso schwer genug, aus allen diesen Aussendungen einen Favoriten auszuwählen.
Momentan scheinen zwei Singles anzustehen. Zu "Beim ersten Mal tut's immer weh" gibt es bereits ein Video, dazu ist "Labyrinth" als CD-Single ausgekündigt. Was erscheint wann und wie?
„Beim ersten Mal tut’s immer weh“ wird auf „Labyrinth“ drauf sein und erst nach dem Album erscheinen. Wir haben uns das so vorgestellt, dass die Leute die beiden Videos für sich entdecken und danach in das komplette Album hineinhören wollen. Das Video zu „Beim ersten Mal tut’s immer weh“ war als Guerilla-Aktion geplant, weil man mit diesem Thema auf keinem Sender stattfinden kann. Aber dank Online-Plattformen kann man auch ohne VIVA und MTV Welle machen. In zehn Tagen hatte das Ding schon über 100.000 Klicks, was eine coole Sache ist. Zwar beschwert sich die Musikindustrie immer ein wenig, weil es so schlecht läuft, aber man muss eben auf die neuen Medien reagieren.
Worauf beruht bei euch die Singlewahl? Wie weit habt ihr Entscheidungsfreiheit und wie weit sind "Berater" wichtig?
Wir sind eine relativ autarke Band, die einen Bandübernahmevertrag hat. Das heißt bis zur Abgabe des Masters ist alles in unseren Händen. Für uns ist das sehr komfortabel, vom ersten Akkord bis zum letzten Reglerzug unser komplettes Baby zu machen. Die Plattenfirma kauft uns dieses Baby sozusagen ab. Natürlich reden wir ihnen, aber bisher waren wir immer recht konform mit den Meinungen unseres Labels. Manchmal sehen wir den Wald vor lauter Bäumen nicht und würden die „falsche“ Single auswählen, aber letztendlich sind es alle unsere Songs. „Labyrinth“ ist natürlich wieder ein typischer Ohrwurm, ist tanzbar und bleibt hängen.
Das Album wurde erneut selbst produziert. Worin liegen die Vorteile und Gefahren, sich gänzlich auf sich selbst verlassen zu können bzw. müssen?
Wir drei sind alle Komponisten und Produzenten, wodurch der Pool an Songs sehr groß ist. Musikalisch sind wir sehr unterschiedlich gepolt, unsere Platten werden abwechslungsreich. Wir wollen auch als Menschen weiterreifen und lassen uns daher immer zwei Jahre Zeit, damit sich diese Entwicklung auch auf die Songs auswirkt. Bei anderen Bands finde ich enttäuschend, dass sie einen kommerziell sicheren Weg gehen, wobei das offensichtlich auch die Szeneleute gut finden. Das ist seltsam, denn egal ob Metal, Gothic oder Hardcore, man will sich eigentlich abgrenzen von der breiten Masse, ist im eigenen Musikkonsum aber reaktionär und konservativ. Für mich ist das ein Widerspruch an sich, wenn man Angst hat, dass sich die Lieblingsband verändern könnte. Ich fand es immer schon viel aufregender, wenn man sich weiterentwickeln konnte, anstatt sich durch den kommerziell sicheren Fleischwolf zu drehen.
Kommen wir nun auf einzelne Songs zu sprechen. "Beim ersten Mal tut's immer weh" hat gerade dank den Drums einen leichten "The Beautiful People"-Vibe. Gab es eine spezielle Inspiration für diesen Song?
Das kann ich so gar nicht sagen. Ich denke, dass einen alles bewusst oder unterbewusst inspiriert. Wir hatten schon auf unseren früheren Rhythmus solche geshuffelte Rhythmen gehabt. Der erste große Song weltweit in dieser Richtung war „Personal Jesus“. Klar haben mich Depeche Mode sehr beeindruckt, das kann ich nicht leugnen. Aber verdammt, unsere Palette ist so weit gestreut, dass wir uns nicht einseitig beeinflussen lassen. Ich kann mir auch nicht Bands vorstellen, die sich nur selbst hören. Man braucht immer Fremdmaterial um selbst reflektieren und wachsen zu können. Ich wurde so oft mit meiner eigenen Musik konfrontiert, da muss ich meine Platten nicht auch noch daheim hören.
Auffallend sind vor allem die vermehrt auftretenden EBM-Einflüsse, die es auf den Vorgängern nicht so gab. Wo würdest du selbst die Unterschiede zu "GlaubeLiebeTod" fest machen?
Du es bereits anklingen lassen, wir zeigen unsere Wurzeln deutlich, aber – um bei dieser Metaphorik zu bleiben – dieser Baum hat auch viele neue Wurzeln ausgetrieben. Ein Stück wie „Revolution“, das starke Reminiszenzen an unser erstes Album hat, bleibt trotzdem sehr modern. Das ist für uns wichtig. Natürlich sind viele Bands auch rückwärts gewandt. Das ist auch vollkommen legitim, in der Kunst sollte alles erlaubt sein, aber wir haben schon immer im Hier und Jetzt gelebt und wollen Musik machen, die sich aktuell anhört. So sollen auch die Songs klingen.
Textlich nehmt ihr ein weiteres Mal kein Blatt vor den Mund. War das nach der bis heute unverständlichen Posse um "Gott ist ein Popstar" ein Versuch, noch konzentrierter dorthin zu gehen, wo es weh tut?
Kunst hat schon immer provoziert, Provokation sollte ein Anspruch von Kunst sein. Man macht auf ein Thema aufmerksam. Wenn dann kontrovers darüber diskutiert wird, kann man zufrieden sein. Ich habe ein Problem mit Musik, die einem jeden gefallen will. Im Formatradio laufen ausgelutschte, glatte Songs, gesichtslos und ohne Ecken und Kanten. Wir wollen dahin gehen, wo es am meisten weh tut. Provokation zum reinen Selbstzweck ist langweilig, man sollte einen Grund haben. „Gott ist ein Popstar“ wurde religiös ausgelegt, war aber eine Medien- und Castingkritik. Die Texte auf dem neuen Album sind wieder sehr vielseitig auslegbar. Ich freue mich schon auf das Fantreffen, da wird es wieder spannende Diskussionen geben.
Gerade das macht Kunst spannend als Diskurs zwischen Schöpfer und Rezipienten.
Genau. Langweilig ist, wenn jemand vor der Bühne statt und nur zustimmend nickt. Kunst soll polarisieren. Man liebt uns oder hasst uns. Es gibt krasse Ausschläge in beide Richtungen, dazwischen gibt es nichts
"Wer schön sein will muss leiden" – welchen schauderbaren Beispielen ist der Song nachempfunden? Aktuell würde ja Brigitte Nielsen passen.
Natürlich war Nielsen damals nicht antizipierbar, als ich den Song geschrieben habe, aber man könnte sie ja für ein mögliches Video einsetzen (lacht). Vor vielleicht fünf Jahren waren Schönheitsoperationen noch ein Tabuthema, aber mittlerweile wurden wir vollkommen amerikanisiert. Man zeigt es, stellt es zur Schau, redet unverblümt darüber. Deshalb war es für mich an der Zeit, das durch den Kakao zu ziehen. In Amerika sehen ab einem gewissen Alter alle Leute gleich aus, aber nicht im positiven Sinn, sondern wie ein bespannter Lampenschirm. Man darf ruhig mit Würde halten, muss sich natürlich nicht gehen lassen. Wenn man in den Gesichtern sieht, dass der Mensch gelebt hat, ist das viel aufregender. In Hollywood ist das ungerecht, Frauen sind ab einem gewissen Alter Weg vom Fenster. Männer können ewig spielen, aber das wird sich auch noch ändern.
Wer ist die Dame, die "Bis zum Schluss" ihre Stimme leiht?
Die kommt von einer Freundin aus Braunschweig, die wir schon seit Jahren kennen. Wir haben mit ihrer neuen Band Mina Harker ein paar Festivals gespielt. Bei dem Song hatten wir das Gefühl, dass eine weibliche Stimme dazu passt, also haben wir die Gelegenheit beim Schopf gepackt.
Herausragend ist auch "In deinen Hüften" mit Tangoklängen. Was bedeutet der Tango für dich?
Ich habe kürzlich gelesen, dass Tango der vertikale Ausdruck eines horizontalen Verlangens ist (lacht). Er ist der berühmteste Balztanz überhaupt. Tango ist ein sehr erotischer, sexueller Tanz. In Kombination mit dem Thema AIDS-Neuansteckungen finde ich das sehr gut. Die hohen Neuansteckungsraten in der westlichen Welt haben mich vom Hocker gehauen. Laut Umfragen haben Jugendliche auch immer noch ungeschützten Verkehr, weil ja die Pharmaindustrie schon so weit entwickelt ist. Ein Irrglaube, denn man kann zwar mehrere Jahre mit dem Virus leben, aber die Krankheit ist nach wie vor tödlich. Ich habe es musikalisch-ironisch umsetzen wollen, wofür der Tango perfekt war.
Einmal mehr wird es eine Limited Edition geben mit einem Bonustrack. Wie selektiert ihr aus den verschiedenen Songs für diese Special Edition?
Wir haben einen Song selektiert, wobei bei der limitierten Variante auch eine DVD mit dabei sein wird mit dem Making Of, das Video und das Making Of zu „Wach auf“, sowie die FSK16-Version zu „Beim ersten Mal tut’s immer weh“ und massig Specials. Man ist wieder dazu gezwungen, Value for money abzuliefern, was auch vollkommen okay ist. Zwar trauert man wieder der Vinylzeit mit, aber da waren halt auch nicht mehr als neuen Songs auf einer Platte. Die Preise sind zwar in die Höhe geschnellt, aber dafür packen wir auch mehr Zeug speziell auf die Limited Edition rauf für unsere Hardcore-Fans, die sich das auch verdient haben. Wer dann nach zwei Monaten draufkommt, er will diese Variante auch haben, hat halt Pech gehabt (lacht). Aber natürlich haben wir noch ein paar B-Seiten auf Lager.
Wie sehen die Pläne für die nächste Zeit aus? Wäre vielleicht ein weiteres Vordringen in den europäischen und amerikanischen Raum interessant für euch?
Wir haben im Sommer viele Festivals gespielt und touren November bis Dezember durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Anfang nächsten Jahres geht es durch den Rest Europas und dann ist vielleicht Südamerika dran, aber die Pläne stecken noch in den Kinderschuhen. Amerika ist interessant, aber da müsste man drei bis vier Jahre am Stück touren. Wir haben alle Familie und wollen diese nicht riskieren. Außerdem könnte durch dieses Aufeinanderkleben die Band zerstören oder zu Drogen- und Alkoholkonsum führen. Wir haben dort schon gespielt, ist ein toller Markt mit aufgeschlossenen Leuten, aber der Preis ist eben zu hoch.
Ich bedanke mich für deine Zeit und wünsche dir und deiner Mannschaft alles Gute für "Monster".
Vielen Dank, wir sehen uns hoffentlich auf Tour.
Klasse Interview, Walter! Sehr interresante Antworten für die sich Dero richtig Gedanken gemacht hat. Sowas liest man gerne!