Kanye West – 808s & Heartbreak

Kanye West geht neue Wege. Nach drei erfolgreichen HipHop-Alben und etlichen Auszeichnungen für die selbigen, überschreitet der 31jährige US-Amerikaner nun die Grenzen der Rap-Musik und widmet sich neuen Klängen. „808s & Heartbreak“ heißt der neue Longplayer, dessen Stil Kanye West als „Pop Art“ bezeichnet und sich damit kurzerhand als Schöpfer eines neuen Musik-Genres sieht. Melodie und Gesang bestimmen die neuen Songs. Nach dem Tod seiner Mutter im November 2007 für Kanye West die einzige Möglichkeit Emotionen auszudrücken. Neben dem Einsatz von Auto-Tune sind es vor allem die Klänge der Roland TR-808 Drum Machine, folklorischen Taiko-Drums und Mönchsgesängen, mit denen „808s & Heartbreak“ seine Hörer erwartet. Elf Songs und ein versteckter Bonus Track stehen zur Auswahl.

Der Opener „Say You Will“ versetzt einen in das Jahr 1972 zurück, als Atari mit „Pong!“ den Urvater der Videospiele veröffentlichte. Die beiden Töne die beim treffen des Balls erklungen zieren den Song auf seiner ganzen Länge von über sechs Minuten. „Say You Will“ bietet jedoch noch mehr als eben diese Ping-Pong-Klänge. Hier wurde ein hymnisch mystischer Opener geschaffen, der als gelungener Einstieg für alle folgenden Songs dient, da er all das besitzt, was „808s & Heartbreak“ ausmacht. Auto-Tune präzisierte Vocals, Mönchsgesänge und vor allem die Drum-Klänge der TR808. Mit seinem dreiminütigem Instrumentalteil zelebriert „Say You Will“ eben diese Effekte ausgiebig.

Ganz ohne Rap-Parts kommt Kanye West auf seinem vierten Studioalbum zur Freude seiner Fans natürlich nicht aus. Beim klangvoll opulenten „Welcome To The Heartbreak“ bestimmt der Sprechgesang die Strophen, wenngleich eine sehr melodiöse Hook und der von Kid Cudi gesungen Refain insgesamt dominieren. Der Vocoder ist auf höchste Stufe gestellt, wodurch zusammen mit dem gelungenen Instrumenteneinsatz ein sehr voluminöser Song entstanden ist. Vergleichbares findet man bei dem von Young Jeezy gefeatureten Track „Amazing“. Über den Auto-Tune-Gesang versucht Kanye West Emotionen zu transportieren und sein Gefühl der innerlichen Zerbrochenheit zu verdeutlichen. Düstere Gesangslinien, perfekt inszenierte Chorgesänge und eine dramatische Pianomelodie ergeben ein starkes Gesamtbild. Young Jeezys Rappart und abgefahrene Background-Effekte sorgen für zusätzliche Hinhörer.

Neben der erfolgreichen Lead-Single „Love Lockdown“ gehört „Heartless“ zweifelsohne zu den besten Songs des Albums. Der Einstieg geschieht über den Refrain, der sich schnell zu einer sehr eingängigen Hookline entwickelt und im Kontrast zu den rapdominierten Strophen steht. Die Mischung aus Rap und Pop ist absolut überzeugend, vor allem weil Kanye West beide Teile leidenschaftlich präsentiert. Erneut sind es auch die kleinen Details im Background sowie die Platzierung eines Interludes, die „Heartless“ zu einem rundum gelungen Track werden lassen. Ein weiteres Feuerwerk zündet Kanye West mit „RoboCop“, der problemlos in einer Liga mit den zuvor genannten Songs mitspielen kann. Auch „RoboCop“ lebt von seinen Gegensätzen. Da erklingt zum einen eine romantische, fast schon kitschige Melodie mit Streicher-Elementen, ehe nach einem Cut, ein düsterer Elektropart in den Track platzt und alle Harmonie zerstört. Das Arrangement ist sensationell, die gewaltigen Gegensätze verbinden sich zu einem Kunstwerk, dass man zunächst auf sich wirken lassen muss, dann aber in seiner ganzen Vielfalt zu überzeugen weiß.

Mit „Street Lights“ und „Bad News“ stehen zwei weitere Pop-Songs zur Auswahl. Während „Street Lights“ eher unauffällig und uninspiriert agiert, kann die emotionale Ballade „Bad News“ vor allem durch die melancholische Stimmung punkten. An die Vocoder-Stimme hat man sich längst gewöhnt, mehr noch, denn spätestens hier wird deutlich, dass dieses Stilmittel nicht einfach nur zur Bearbeitung von Kanye West Gesangsstimme dient. Der zerbrechlich klingende Gesang und das lange Instrumental zeigen Kanye West wohl von seiner emotionalsten Seite. Allein deswegen ist „Bad News“ schon hörenswert.

Bevor mit „Coldest Winter“ eine weitere Ballade einen allerdings eher enttäuschenden Abschluss darstellt, bietet „808s & Heartbreak“ mit „See You In My Nightmare“ und „Paranoid“zwei eher gegensätzliche Songs. „Paranoid“ ist sehr elektronisch ausgefallen und streift den Sound der 80s. Im Refrain erhält Kanye West Unterstützung von Mr. Hudson, einem vorrangig in England bekannten Musiker. „Paranoid“ ist eine solide Nummer mit einem gewissen Spaßfaktor, die gegenüber den stärkeren Tracks allerdings abfällt. Bei „See You In My Nightmare“ hat der Spaß schnell ein Ende. Zusammen mit Lil Wayne ist ein düsterer und kraftvoller Rap-Song entstanden, der sich nicht grade für den einsamen Heimweg im Dunkeln empfiehlt. Der Track lebt von seiner Atmosphäre und beeindruckt vor allem nach ein paar weiteren Durchgängen.

Kanye West ist mit „808s & Heartbreak“ ein starker Longplayer gelungen. Es ist vielleicht zu viel des Guten zu behaupten, dass hier ein neues Musikgenre entstanden ist, denn auch ein Kanye West erfindet die Musik nicht neu. Allerdings ist er einen anderen, mutigen Weg eingeschlagen, mit einem Ergebnis, dass sich sehen lassen kann. Die Mischung aus sanfter Pop-Musik, alten Rap-Angewohnheiten und vor allen den hier erwähnten Einsatz diverser und durchaus ungewöhnlicher Stilmittel hat ein durchgängig stimmiges Album ergeben, dass mit einigen wirklich starken Tracks zu überzeugen weiß. Teils futuristisch, teils retro-stilistisch, insgesamt aber immer auf der Höhe der Zeit. Das außergewöhnliche Art-Work von CD und Booklet, sowie der für Fans sicherlich interessante Hidden-Track „Pinocchio Story“, einem Live-Freestyle Mitschnitt, stellen weitere Kaufanreize dar. Somit ist „808s & Heartbreak“ definitiv eines der Highlights im ausklingenden Musikjahr 2008!

VÖ: 21.11.2008
Def Jam Records (Universal Music)
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