Annett Louisan – Teilzeithippie
Hört man im Jahre 2008 den Namen Annett Louisan, denkt man größtenteils noch an das kleine, blonde, unschuldige Mädchen zurück, das mit ihrem Debütsong „Das Spiel“ zum ersten Mal die Aufmerksamkeit auf sich zog. Mit ihrem deutschsprachigen Pop-Chanson, einem doch mittlerweile untergeordnetem Genre des heutigen Musikbusiness, entwickelte sich die 31jährige zu einer „Albumkünstlerin“, die ihr thematisches Hauptaugenwerk zum größten Teil auf die zwischenmenschlichen Beziehungen im weitesten Sinne richtet. Da wirken auch die unzähligen musikalisch hochkarätigen Auszeichnungen (ECHO, Goldene Stimmgabel) eigentlich nur als Bestätigung ihrer Leistungen.
„Die Ästhetik, aus der sich eine gute Portion ihres Erfolges speist, ist in einer Zeit angesiedelt, in der man hierzulande noch von Langspielplatten redete und eine stringente, in sich geschlossene Kollektion von Liedern meinte.“ – Der wieder auflebende „Retro-Style“ (man denke nur an Amy Winehouse oder Duffy) als Erfolgsrezept? Bisher ging diese Rechnung für die wohnhafte Hamburgerin stets auf, denn sie verfolgt diese Linie nicht erst seit der „Neuen Soul-Welle“ der vergangenen Monate, sondern seit Anbeginn ihrer Karriere.
„Teilzeithippie“, das ist keine Bezeichnung für einen Trendberuf der Sechziger Jahre. Allerdings ist die Betitelung des Albums gar nicht einmal so inadäquat. Mit dem Opener wird man jedoch zunächst einmal in die Zeit zurückversetzt, die Annett Louisan bekannt gemacht hatte. „Das schlechte Gewissen“ ist ein eingängiger, verträumter Song im Walzerrhythmus, der von der Gitarre bestimmt und von Streichern harmonisch gestützt wird. Der seichte Klang des Jazz-Besens rundet den Track rhythmisch ab. Der gesummte Part bildet einen geschickten Füller zwischen den Strophen. Bereits beim ersten Song wird einer der Höhepunkte des Langspielers gesetzt. Schwungvoller setzt „Sexy Loverboy“ ein – vielleicht eine spöttische Abrechnung mit einer kurzen Affäre? Hier zeigt sich jedenfalls die Bissigkeit und leichte Provokation in ihren Texten, die, wie übrigens fast alle Albentracks, zusammen mit Star-Komponist Frank Ramond entstanden sind. In swingender, bittersüßer Country-Taktung präsentiert sich hier eines der peppigeren Lieder des vierten Studioalbums von Annett Louisan. Mit „Gekommen um zu sagen“ wird auf eine „ruhige Karte“ gesetzt. Die erste reine Ballade des Longplayers ergreift sowohl durch die für seichte Lieder typische Begleitung durch Streicher und sanfte Instrumente als auch durch die textliche Umsetzung. Mit großer Sicherheit kann auch dieser Track als ein Albumhighlight vermerkt werden. Nebenbei bemerkt: Soll ich euch eigentlich siezen? Um dieses Thema geht es, wenn Annett Louisan „Die Siezgelegenheit“ zum Besten gibt. Pub-Atmosphäre und dazu ein frech formulierter Text, das reicht für ein relativ gutes Ergebnis schon aus. Anders als bei anderen Soulsängerinnen steht hierbei aber die Instrumentalisierung noch weniger im Vordergrund. Provokant auch die abschließende Frage: „Wie isses, woll’n Sie mit mir schlafen?“ – Erstmals tritt hierbei auch das Bläserensemble in den Vordergrund, wenn auch nicht in dominierender Rolle. Diese übernimmt es dann im Refrain von „Ich brauch Stoff“, welcher auf reichlich bissige und übertriebene Weise auf den in manchen Fällen überzogenen Konsumzwang anspielt, wie dies auch im Song „Junk“ von Ich + Ich geschieht. Musikalisch unterscheidet sich der von Alexander Zuckowski komponierte Track insofern, dass er sich insgesamt als kräftiger und weniger schmeichelhaft erweist. Kurz gesagt: Es wird kein Blatt vor den Mund genommen.
„Die nächste Liebe meines Lebens“ fasst auf ironische Weise auf, was eigentlich gar nichts Ungewöhnliches ist, nämlich häufiges „Sich-Verlieben“. Das Lied an sich klingt akustischer als anderen Albumtracks und scheint in Sachen Perkussion und Begleitung wellenartig anzusteigen und wieder abzufallen: keine pompösen und erstaunenden Elemente, Klavierbegleitung und der Schwerpunkt auf der stimmlichen Qualität. Lediglich der kurze „Zwischengurgler“ sorgt zwischendurch für Auflockerung. „Wir nicht“, ein weiterer sehr ruhig gehaltener Track erinnert an das bereits gehörte „Gekommen um zu sagen“, wirkt aber in sich geschlossener. Allerdings plätschert der Song mehr oder weniger kontinuierlich vor sich hin, bietet aber trotzdem in seinem Verlauf eine leichte Steigerung, was die Instrumentalisierung betrifft. Nach den zwei zugegebenermaßen etwas monotoneren und „schmalzigeren“ Tracks wird es beim achten Track wieder peppiger: Die erste Singleauskopplung „Drück die 1“ erfrischt das bisherige Gesamtbild des Albums mit seiner Dynamik und Swing-Atmosphäre. Des Öfteren als „This Is The Life Part 2“ betitelt, kann der Top -40-Hit seiner „Vorlage“ dennoch das Wasser reichen. Eine eingängige Begleitung und das ohrwurmverdächtige „Bap-Bap-Bap“ heben „Drück die 1“ besonders positiv hervor. Mit der Thematik des Albumtitels beschäftigt sich „Teilzeithippie“, eine Nummer, die vom Aufbau her der „Siezgelegenheit“ ähnelt. Besonders hier fällt auf, dass sich mit immer weiterem Fortlaufen des Albums zeigt, dass das musikalische Ausdehnungsgebiet von Annett Louisan auf einen kleineren Raum beschränkt ist. Marktplatz-Charme versprühend, zeigt sich die Lockerheit der Melodie hier auf besondere Art und Weise. Kurz vor Ende des Tracks sorgt ein kleiner Instrumentalteil noch für Lockerung, die jedoch schon zu Beginn von „Gedanken lesen“ wieder verschwindet. Düsterer Klang eröffnet den viertletzten Song, der sich vor allem durch die Begleitung der Akustikgitarre auszeichnet. Der Wechsel von Moll zu Dur beim Refrain dreht die Stimmung ins Positive. Das Zwischenspiel erinnert schon leicht an Musik aus Fernost. Der kurze Trommel- und Schelleneinsatz verleiht „Gedanken lesen“ ein ambientes Flair, ohne jedoch gleich extremst außergewöhnlich zu wirken.
Wenn gerade schon das Stichwort „außergewöhnlich“ angesprochen wurde: Dieses Prädikat erfüllt „Ich bin dagegen“ in großem Maße. Fast wie eine Beat-Revolution klingend, hebt sich dieses Lied von einem Großteil des restlichen Albums deutlich ab. Vor allem durch die dichte instrumentale Besetzung löst sich der Song vom Gesamtkonzept. Wer den Beginn von „Je später der Abend“ das erste Mal hört, kommt sich vielleicht zunächst einmal wie auf einer Ranch vor: Mundharmonika-Klang und ein typisch „countrymäßiges“ Arrangement stützen den vorletzten und gleichzeitig kürzesten Track von „Teilzeithippie“. Wie sollte jedoch ein Album abschließen? Mit einer großen, krachenden oder lieber doch mit einem Abschied à la „Sie sagt leise ‚Servus'“? Bei Annett Louisan hat man sich für letztere Variante entschieden. Mit „Auf dich hab ich gewartet“ wird das Album „verträumt“ abgerundet. Bis zur Hälfte der knapp sieben Minuten Songlänge (und somit des längsten Albumtracks) präsentiert sich das bereits bekannte „Annett-Balladen-Schema“, jetzt allerdings in sehr zurückhaltender und fast schon schüchterner Form. Nach einer kurzen Pause gegen Hälfte des Songs folgt ein knapp vierminütiges, langsames Instrumental, bestehend aus Klavier und Perkussion. Mit der Zeit wird es immer ruhiger um den Song, bis er schließlich im letzten Anschlag des Pianos sein Ende findet. Eine etwas ungewohnte, aber auf keinen Fall schlechte Idee, das insgesamt ruhige, mit einigen kräftigeren Nummern für zwischendurch gespickte Album, abzurunden.
Auch wenn – das soll trotz aller Lobeshymnen dennoch gesagt sein – die musikalische Bandbreite zu Wünschen übrig lässt und das mehrmalige Hören in Folge nur bedingt empfehlenswert ist, so sind doch die Songs jeweils für sich ein gemütlicher Ohrenschmaus. Besonders heben sich dabei „Das schlechte Gewissen“, „Drück die 1“ und „Auf dich hab ich gewartet“ hervor. Mit „Teilzeithippie“ knüpft Annett Louisan dort an, wo sie begonnen hat und wovon sie eigentlich niemals weggegangen ist: von ihrem melodischen, leicht provokativen Pop-Chanson, mit dem sie in geschickt eingehüllten Melodien die Themen ihrer Musik präsentiert. Was ist also nun der „Teilzeithippie“? Jemand, der sich auch mal gegen die Ordnung stellt, revolutioniert, aber dies nur dann tut, wenn er es für nötig hält? Jedenfalls: Solange Annett Louisan ihre Karriere nicht an den Nagel hängt, wird Deutschland nach wie vor eine feste Größe im deutschsprachigen Musikgeschäft innehaben!
VÖ: 17.10.2008
105 Music (Sony BMG)
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