Ich + Ich – Gute Reise

(c) Olaf Heine / www.olafheine.com

Nach dem großen Erfolg der „Vom selben Stern“-Ära sind die Erwartungen an Annette Humpe und Adel Tawil mehr als hoch gesteckt. Songs, die in den deutschsprachigen Hitparaden über Monate hinweg zu Dauerbrennern avancierten, ein Album, das selbst ein Jahr nach Veröffentlichung noch die Spitze der Albumcharts erklimmt, ausverkaufte Konzerthallen in ganz Deutschland – kann man diese Leistung überhaupt noch toppen?

Jedenfalls haben Ich + Ich mit „Pflaster“, der ersten Singleauskopplung aus dem dritten Studioalbum „Gute Reise“, etwas geschafft, was sie mit noch keiner ihrer bis dato veröffentlichten Singles erreicht haben – nämlich Platz 1 der deutschen Charts zu belegen. Die pausenlose Arbeit an der neuen Platte, die die „odd-couple-Formation“ trotz Mutterpflichten einerseits und unzähligen Live-Auftritten andererseits kontinuierlich betrieb, scheint sich erneut auszuzahlen. Zwölf Songs bilden letztlich die finale Version von „Gute Reise“, welches laut Frontsänger Adel Tawil „eine Symbiose aus Live und Studio“ darstellt. Progressivität und Kontinuität sind die Merkmale, die auf den ersten Blick widersprüchlich wirken. Zum einen die Experimentierfreudigkeit an neuen Songs sowie die weiterentwickelte, „erwachsenere“ Stimme des männlichen Vokalisten, zum anderen die nach wie vor bewegenden und sämtliche Altersschichten ansprechenden Texte – das alles zusammen ergibt ein lebendiges Gebilde.

Diese Verwebung von Alt und Neu wird gleich beim Opener des Albums, „Pflaster“, deutlich. Oftmals als „Vom selben Stern 2“ tituliert, zeigen sich im Refrain altbekannte, eingängige Rhythmen; der Beginn hingegen ist düster und spannungsvoll gehalten. Leicht mysteriös zeigt sich auch „Einer von zweien“, eine tragende Nummer, die sich erst im Refrain zu voller Stärke entfaltet, als ein musikalisch erkennbarer Stimmungswechsel ins Positiv-Melancholische erfolgt. „Kannst in die Berge fliegen, durch die Mongolei, ich bin immer dein Zuhaus!“ – ein ohrwurmverdächtiger Refrain prägt „Universum“. Teils auch von orientalischeren Klängen begleitet, verbreitet dieser Song eine optimistische und harmonische Atmosphäre. Ähnlich musikalisch strukturiert, jedoch lyrisch anders konstruiert – wie der Name schon vermuten lässt – präsentiert sich der Track „Hilf mir“.

Auch die ruhige Seite von Ich + Ich kommt auf „Gute Reise“ nicht zu kurz. „Es tut mir leid“ ist eine gefühlvolle, jedoch nicht überzogene und teils auch kraftvolle Ballade, in der Sehnsüchte nach einer geliebten Person auf ergreifende Art und Weise dargestellt werden – eine Situation, die jedem bekannt vorkommen mag und eine gewissene Identifikation, unabhängig von Alter oder Herkunft, ermöglicht. Eine Freundschaftsbekundung par excellence bietet das verträumte „Was wär ich ohne dich“, und zusammen mit „Stein“, einem Beispiel für hochkarätigen Slow-Pop, geprägt von beruhigenden Synthesizer-Sounds, rundet es die „stille Ecke“ des Albums ab.

Dass es auch die ehemalige Ideal-Frontfrau Annette Humpe noch nicht verlernt hat, beweisen „Die Lebenden und die Toten“, eine dynamische, marschähnlich arrangierte Nummer, begleitet von elektronischen Klängeln im Hintergrund, und „Danke“, eine Hommage an alle Menschen, deren Arbeit im Alltag meist ungewürdigt bleibt. Denn in beiden Songs ergreift die 59jährige das Mikrofon. Besonders letzterer Song erweist sich durch den prägenden Klatschrhythmus und die eingänige Basslinie – mancher Musikexperte erkennt möglicherweise sogar leichte Ähnlichkeit zu „Stand By Me“ – als einprägsam und ohrwurmtauglich.

Originell verarbeitet wird der Hilferuf, der in „Hallo Hallo“ laut wird. Selbst lyrisch wird dieser deutlich: „Hallo, mein Name ist Verlierer und ich sitze in der allerletzten Reihe ganz hinten. (…) Ist da irgendjemand, der noch an mich glaubt?“ – Prägend für diesen Track ist das sich wiederholende „Hallo Hallo“ und die dazugehörenden Hooks, die die Verzweiflungshymne künstlerisch untermalen.

Überraschend, aber dennoch nicht ausgefallen, wirkt „Alleine tanzen“: Eine Slow-Waltz-Variante im Pop-Stil mit einschlägigen, harten Klavier-Clustern läutet das Finale ein. Für „Yasmine“ hat man sich die Unterstützung des ägyptischen Musikers Mohamed Mounir eingeholt, der mit seinen Vocals den Ausflug von Ich + Ich in die orientalische Musik unterstützt. Die Stimmführung Mounirs mag zunächst gewöhnungsbedürftig sein, bildet jedoch zusammen mit Adel Tawils Gesang einen von Trommelrhythmen geprägten, zum Mittanzen einladenden, außergewöhnlichen Abschluss des Albums.

Nach knapp 46 Minuten Hörzeit bleibt das Fazit zu ziehen, dass Ich + Ich mit „Gute Reise“ das Bestmögliche erreicht haben, was nach dem Erfolg des Vorgängeralbums zu erwarten war. Kein „Stark“, kein „So soll es bleiben“, damit war zu rechnen. Jedoch: Ein Stilwechsel ist ebenfalls nicht zu verzeichnen. Die Weiterentwicklung manifestiert sich eindrucksvoll auf dem neuen Werk, auch wenn vielleicht nicht jeder Track sofort im Ohr bleibt. Im Grunde bleiben Annette Humpe und Adel Tawil ihrer Richtung treu: Lyrics und Musik für jedermann, für die ganze Familie – „die Pop-Komponente stehts im Sinn“. Der Gedanke, Neues mit in die Tracks hineinfließen zu lassen, wurde dennoch voll verwirklicht. Der Erfolg wird damit mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ausbleiben, wenn man doch schon mit der ersten Single eine bessere Chartplatzierung denn je einfährt…

VÖ: 13.11.2009
Polydor Records (Universal Music)
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