Deine Lakaien – Indicator
Ein Indikator kann vieles sein: Messinstrument, Hinweis, chemische Substanz, Tendenz und Auslöser für Interpretation. Ein bewusst gesetzter Titel für ein Album, der dem Hörer einerseits genügend Raum für die eigene Deutung lässt und andererseits die neue Zeit einleitet. Seit mehr als 20 Jahren sind Alexander Veljanov und Ernst Horn nun bereits gemeinsam musikalisch aktiv, die Historie ihres Schaffens liest sich so eindrucksvoll wie erfolgreich. Bisher schimmerte in allen Werken das geniale Spiel mit Metaphorik und musikalischer Vertracktheit durch, auch wenn über die Jahre die Leitmotive wechselten. Mit „Indicator“ macht die Band nach den großartigen Ausflügen in die Crossover-Klassik und der eigenen Retrospektive nun einen merklichen Cut.
Der musikalische Weg zum Hörer ist ebener geworden, die umschlungene Verwobenheit vergangener Tage ist einer atemberaubenden und intensiven Eingängigkeit gewichen. Aber auch inhaltlich sind die gewählten Worte direkter und weniger bildlich. Es handelt sich also um einen gänzlich neuen Ansatz, den die Band für „Indicator“ gewählt hat – und dieser weis durch und durch zu gefallen. Zusätzlich sei angemerkt, dass es wohl kaum eine Band schafft, wunderschöne Liebeslieder in eine Reihe mit offener Gesellschaftskritik zu stellen, ohne dabei das Konzept des großen Ganzen aus den Augen zu verlieren. Oder anders gesagt: Das verträumte Schwelgen wird konfrontiert mit der kargen Wirklichkeit.
„One Night“ eröffnet mit wehmütigen Synthies und zarten Streichern, die Ballade überzeugt mit wohliger Atmosphäre und herbstlicher Intimität. „Who’ll save the world“ ist dann schon fordernder, die Streicher spielen furios auf, der Track steigert sich über die gesamte Laufzeit, um dann mit der zentralen Wahrheit zu enden: „Who’ll save the world if not you“. Mit „Gone“, das auch zur ersten Single bestimmt wurde, folgt dann einer der besten Deine Lakaien Songs aller Zeiten. Als Symbiose aus Ballade, Klassik und einer Spur Elektro nimmt der Track einen sofort gefangen, das großartige Video bringt noch eine weitere Tiefenebene hinzu.
Mit „Immigrant“ folgt dann ein Song, dessen Ambition man in dieser Unverblümtheit so noch nicht von Deine Lakaien gehört hat. Kritisch platziert die Band unter Stakkatobeats offene Kritik an der Immigrantenpolitik unserer Gesellschaft: „I want to live like everyone… like a common man just like you“. Überhaupt brodelt der Track unterschwellig permanent, das Gefühl Mensch zweiter Klasse zu sein wird dem Hörer aus der Perspektive des Immigranten transportiert. „Blue Heart“ könnte auch von „Winter Fish Testosterone“ stammen und lässt ein wenig Wehmut der alten Zeiten willen aufkommen. Diese verschwindet aber mit „Europe“ dann wieder augenblicklich. Der Track setzt sich inhaltlich für die Gleichheit aller Menschen ein, der französisch-englische Sprachmix unterstreicht die Aussage zusätzlich.
Leise Töne und die Erzählung einer großem Liebe, die die wechselnden Zeiten des Lebens gemeinsam Seite an Seite gemeistert hat, kennzeichnen „Along the Road“ als tiefgreifendes Porträt und Hommage. „Without Your Words“ schlägt in eine ähnliche Kerbe, ist aber wesentlich lebendiger arrangiert und lebt vor allem von der schwungvollen Instrumentierung. „Six O’clock“ fordert den Hörer heraus, setzt auf Retro-Synthies und ist geprägt von Wut und Verzweiflung. „Go Away Bad Dreams“ zeichnet die Konfrontation des Träumers mit der Gegenwart, die Angst vor der Unkontrollierbarkeit der Träume steht emotional der wunderbaren Melodieführung konträr. „On Your Stage Again“ ist wieder sehr melodiös ausgelegt und fällt ein wenig hinter den anderen Tracks ab. Mit „The Old Man is Dead“ folgt dann ein würdiger Abschluss. Das letzte Stück des Albums handelt von einem Soldaten, der die Weltkriege miterlebt hat und skizziert mit gekonnt platzierten Samples (z.B. marschierende Soldaten, Wasserelemente) die seelische Zerrissenheit.
Ist „Indicator“ einige Male durchgelaufen, ist man gefangen in der dichten Atmosphäre des Albums. Es scheint, als habe vor allem die klassische Musik stärkeren Einfluss auf die Struktur der Stücke gewonnen. Intensiv ist es geworden, und trotz aller Direktheit sind durchaus schwer zugängliche Passagen enthalten. Wieder einmal beweisen Veljanov und Horn, dass sie nach wie vor zu dem musikalisch Besten gehören, das Deutschland zu bieten hat. Volle Kaufempfehlung.
VÖ: 17.09.2010
Ministry of Sound (Warner)