Kettcar – Zwischen den Runden
„Die halbe Welt wartet auf den nächsten Hüftschwung“: Vor einer Dekade revolutionierten Kettcar mit ihrem Debütalbum „Du und wieviel von deinen Freunden“ die deutschsprachige Indie Rock-Landschaft – so viel Superlativ muss schon sein. Während sich seither eine Vielzahl an Bands, bewusst und unbewusst, auf die Hamburger berufen, sind sie ihren Weg konsequent weitergegangen. Das letzte Studioalbum „Sylt“ hat mittlerweile knapp vier Jahre auf dem Buckel, eine Live-Platte diente als zwischenzeitliches Lebenszeichen, ebenso eine kleine Akustiktour mit Streichquartett, die hörbar Spuren hinterlassen hat. Auf „Zwischen den Runden“ machen laute Gitarren Platz für Streicher und Bläser, während Keyboarder Lars Wiebusch eine zentrale Rolle einnimmt.
Leben, Liebe und Hoffnung entpuppen sich als zentrale Themen auf der vierten Kettcar-Platte, natürlich in den verschiedensten Ausprägungen. So entfährt man im Opener „Rettung“ beispielsweise, dass Liebe auch bedeutet, beim Kotzen die Haare zu halten und Katermedizin zu liefern. In einem kurzen Keyboard-Break zeigen sich die Hamburger überraschend funky und verspielt, schweben förmlich über dem Discofox-Bodensatz und knüpfen in der hochtrabenden Single „Im Club“ daran an. Die Mischung aus Uptempo-Drums, lebhaften Streichern und einer Prise Northern Soul erinnert beinahe an einen verkappten Tomte-Track, während Marcus Wiebusch den „größten Club der Welt“ besucht, Verlierern auf die Schulter klopft und einen weiteren doppelten Boden entdeckt.
„Wenn das der Frieden ist, muss man den Krieg nicht erst erfinden“ – „R.I.P.“ überrascht als frühlingshafter Song mit Folk-Einschlag und New Order-Touch („Krafty“ lässt grüßen), klingt beinahe nach einem sympathischen Single-Kandidaten für den April. Ebenso brillieren Kettcar mit vertontem Schwermut, beispielsweise in „Nach Süden“ oder dem schmerzvollen Rausschmeißer „Zurück aus Ohlsdorf“, einer beklemmenden Begräbnis-Szenerie, gesäumt von bittersüßen Erinnerungen. Nebenan warten „Der apokalyptische Reiter und das besorgte Pferd“ – der Songtitel für sich ist bereits erwähnenswert – und „Kommt ein Mann in die Bar“, das sich von einer der bekanntesten Witz-Phrasen zum größten Gag der menschlichen Existenz hangelt: das Leben an sich.
Alleine über die fantastischen Texte dieses Albums – „In deinen Armen“ entpuppt sich scheibchenweise als filigran orchestriertes Trennungslied – könnte man Essays schreiben, die zahlreichen elaborierten Metaphern auflisten und in ihre Einzelteile zerlegen; oder einfach nur über die Musik schreiben, die mit sämtlichen klassischen Kettcar-Standards bricht, Akustik-Gitarren, Keyboards und Streicher in den Mittelpunkt rückt, den Bogen von Folk über Northern Soul bis hin zur klassischen Ballade spannt. „Zwischen den Runden“ ist wie ein Boxer im kurzen Ruhemodus – im Auge des Sturms, launisch, nachdenklich, hoffnungsvoll, resignierend. Und wo zum Henker bleiben eigentlich die Geigen?
VÖ: 10.02.2012
Grand Hotel van Cleef (Indigo)
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