ESC 2013: Das schwere Erbe des Jahres 2012

Eurovision Song Contest 2012

Der Eurovision Song Contest 2012 hat geschafft, worauf seine Vorgänger in den vergangenen Jahren bereit hingearbeitet haben, nämlich einen europaweiten Megahit hervorzubringen. Damit hat er erstmals (auch wenn bereits Lenas Sieg 2010 und ihre anschließenden Charterfolge diesen Trend andeuten) eingelöst, was vor allem ESC-Fans ihrem Grand Prix immer schon zugetraut haben: ein Gradmesser für aktuelle, massentaugliche Popmusik zu sein. Ob der ESC in Malmö diesen Weg weitergehen wird, muss sich zeigen. Nun ist erstmal der Zeitpunkt, auf das letzte Jahr zurückzublicken und den ESC 2012 Revue passieren zu lassen.

Dabei kommt man selbstverständlich nicht an der ungekrönten Königin Europas vorbei: Loreen hat nicht nur den Eurovision Song Contest 2012 gewonnen, sondern sich mit „Euphoria“ auch in zehn Ländern an die Spitze der Charts gesetzt und mit „Heal“ ein Album veröffentlicht, das sich im Vergleich mit anderen Popalben 2012 nicht verstecken muss. Sie war damit noch erfolgreicher als Lena 2010 und die kommenden ESC-Jahrgänge werden sich an Loreens Erfolg messen lassen müssen. Wenn Loreen jetzt nicht alles falsch macht, wird sie auf dieser Erfolgswelle auch noch einige Zeit schwimmen können. Dem ESC hat sie mit ihrem Song aber schon jetzt einen großen Dienst erwiesen und ihn praktisch im Alleingang (die Songwirter Thomas G:son und Peter Boström sollen an dieser Stelle natürlich nicht unerwähnt bleiben) weiter modernisiert.

Auch wenn die Zusammensetzung des Finales deutlich zeigt, dass der ESC sein Potenzial noch immer nicht vollkommen ausschöpft (so ist bei den Briten noch nicht angekommen, dass der Grand Prix nicht als Wiedereingliederungsmaßnahme für ehemalige Stars taugt, während die Franzosen nach wie vor dem Motto „Mehr ist mehr“ frönen), so sind doch neben Loreen einige weitere Songs herauszustellen, die deutlich machen, dass die grundsätzliche Entwicklung stimmt. Mittlerweile kann man sogar einen qualitativ äußerst hochwertigen und anspruchsvollen Song zum Grand Prix schicken und sich gleichzeitig nicht mehr sicher sein, damit am Ende nicht zu gewinnen. Bewiesen hat das 2012 Albanien, das mit Rona Nishliu und „Suus“ für die Überraschung des Abends sorgte. Das Klagelied bekam sowohl von den Jurys als auch vom Publikum massenweise Stimmen und fuhr am Ende einen herausragenden fünften Platz ein.

Ebenfalls voll im Zeitgeist präsentierte sich das erst 2011 aus dem ESC-Exil zurückgekehrte Italien. Ganz im Retro-Stil von Duffy, Amy Winehouse und Co. präsentierte Nina Zilli „L’Amore È Femmina (Out Of Love)“ und hätte damit wohl auch einen besseren als den neunten Platz erreichen können, wenn sie am Abend der Abende nicht wie eine schlechte Kopie eben jener, erst ein Jahr zuvor verstorbenen Winehouse ausgesehen, sondern ein bisschen mehr Eigenständigkeit gewagt hätte. Dafür wurde sie vom Publikum abgestraft, was an der Qualität ihres Songs natürlich nichts ändert.

Ansonsten gab’s noch die nimmersatten Jedwards, die sich durch ihre Performance, bei der fast ausschließlich der Backgroundchor zu hören war, wohl selbst Richtung Karriereaus beförderten, einen sehr soliden Roman Lob, der es verdient in die Top 10 schaffte, und mit Sabina Babayeva eine Vertreterin des Gastgeberlandes, deren ewiges Geheimnis es bleiben wird, wie sie es mit einem der unbedeutendsten Song des Jahrgangs und einem fliegenden Teppich auf der Bühne auf den vierten Platz schaffen konnte.

Apropos Aserbaidschan: Neben der Musik stand in diesem Jahr auch die Politik im Vordergrund. Und das obwohl die für den ESC zuständige European Broadcasting Union (EBU) genau diese Diskussionen im Vorfeld stets zu vermeiden versucht hatte. Dennoch schafften es einige BloggerJournalisten und selbst Oppositionelle vor Ort die aserbaidschanischen Menschenrechtsverletzungen zu thematisieren und unternahmen im Gegensatz zu vielen anderen den Versuch, auf dem schmalen Grat zwischen ESC-Heiterkeit und ernsthafter Berichterstattung zu balancieren. Ganz besonderer Respekt gebührt auch hier der Siegerin Loreen, die als einzige ESC-Teilnehmerin der oppositionellen „Sing for Democracy“-Initiative den Rücken stärkte. Und dann war da noch eine ganz große Geste: Während der Punktevergabe meldete sich Anke Engelke live aus Hamburg zu Wort und sollte eigentlich die deutschen Punkte verlesen. Stattdessen sprach sie vor hunderten Millionen TV-Zuschauern davon, dass es gut sei, eine Wahl zu haben, sie Aserbaidschan viel Glück auf seiner Reise wünsche und schloss mit einem mahnenden „Europe is watching you“. So rettete sie mal eben die Integrität der gesamten Veranstaltung und widersetzte sich der Ignoranz auf Seiten der Verantwortlichen. Danke, Anke!

http://www.youtube.com/watch?v=z7CJb-4LDeE

Ob der ESC 2013 den Weg seines Vorgängers weitergeht, wird sich zeigen müssen. Klar ist, dass die bisher gewählten Beiträge für Malmö noch nicht das Zeug zu europäischen Superhits haben. Allerdings stehen auch erst 6 von 39 Beiträgen fest, so dass die Hoffnung auf einen würdigen „Euphoria“-Nachfolger noch nicht begraben werden muss.