Laing – Paradies Naiv
Die Vorzeichen könnten eigentlich nicht besser stehen: Erstens ziert mit „Morgens immer müde“ ein Song die Diskografie der vier Berliner Schnauzen von Laing, der es – wenn auch nicht bis an die Spitze der Charts – ins Langzeitgedächtnis eines großen Teils der deutschen Musikhörer geschafft hat. Zweitens erlangte die Band durch die überaus erfolgreiche Teilnahme an einem Gesangswettbewerb (Bundesvision Song Contest 2012) vor Millionenpublikum überregionale Bekanntheit. Diese scheinbar perfekte Kombination wird jedoch – die Geschichte lehrt es immer wieder – schnell zu einem Fluch. Davon möchte die Formation um Nicola Rost in ihrem „Paradies Naiv“ nichts wissen, auch wenn es gerade die trockenen Wahrheiten des Lebens sind, die sie auf ihrer ersten LP charmant anzusprechen weiß.
Während die Gründe für den bisherigen Erfolg von Laing zwar auch in deren Gesamtpaket aus Gesang und Tanz, aus Elektro und harmonischem Gesang verortet wird, ist der gemeine Musikkritiker jedoch geneigt, darauf hinzuweisen, dass es sich beim bisher einzigen Hit „lediglich“ um eine Neu-Interpretation von Trude Herrs „Morgens immer müde“ handelt. Doch spätestens mit der zweiten Single beweisen Nicola Rost, Johanna Marschall, Atina Tabé und Marisa Akeny, dass sie auch mit Eigenkompositionen überzeugen können. So knüpft „Nacht für Nacht“ fast nahtlos an den Stil des Vorgängers an, ohne ihm jedoch zu ähnlich zu sein. „Drehzahl rauf“ ist das Motto: Der dezenten elektronischen Instrumentierung wird ein wenig mehr Wumms verliehen, genauso selbstbewusst wie drei der vier (Wahl-)Berlinerinnen mit ihren Stimmen den Motor eines Autos imitieren, fällt auch der eingängige Gesang aus.
Eine Ode an den alternativen Lebensstil und ein Chanson 2.0 liefern Laing mit dem entspannten „Du & du & ich“. Die entspannte Elektro-Pop-Nummer weiß vor allem durch ihren unterhaltsamen Text zu gefallen. Wie kaum eine andere Nummer auf „Paradies Naiv“ lebt der Song vom gezielt eingesetzten mehrstimmigen Gesang. Von Nicola Rosts Talent, Geschichten mit den unglaublichsten sprachlichen Raffinessen zu schreiben, zeugt der Mid-Tempo-Track „Herr Amor“. Das sich lange auf den Hintergrundgesang von Marschall und Tabé sowie einen jazzigen Beat beschränkende Instrumental ergänzt die Lead-Sängerin, die das „sich verlieben“ äußerst amüsant als Dienstleistung einer Behörde beschreibt und sich über deren Fehler beschwert. Ruhigere Töne hingegen werden im höchst melodiösen Rausschmeißer „Das Schiff“ angeschlagen. Rost zeichnet das Bild einer scheiternden Beziehung und findet dabei stets die passenden Worte. Die tiefe, fast schon beklemmende Schwere des Songs ließe sich mit Sicherheit auch eindrucksvoll durch ein Orchester aus Blechblasinstrumenten erzeugen.
Bereits ein Durchlauf von „Paradies Naiv“ zeigt: Naiv war, wer nach der Elektro-Doo-Wop-Grenzerfahrung mit Tanzeinlagen „Morgens immer müde“ damit gerechnet hat, dass sich das audio-visuelle Gesamtkonzept der vier Damen nicht auf Albumlänge strecken lässt. Zwar bewegen sich Laing vornehmlich im eben genannten Spannungsfeld; welche unterschiedlichen Früchte der sogenannte „Electric Lady Sound“ der Gruppe aber tatsächlich trägt, ist überraschend. So findet mit dem Titeltrack ein typischer Electro-Popper im 80er-Jahre-Stil genauso auf das Album wie das an „A-N-N-A“ von Freundeskreis erinnernde „Mit Zucker“. Aber nicht nur die gefällige und abwechslungsreiche Produktion des gesamten Albums, sondern vor allem die außergewöhnlichen Texte von Nicola Rost mit ihren Wortspielen und ihrem Witz tragen zum nahezu ungehinderten Hörvergnügen bei.
Paradies Naiv
VÖ: 01.03.2013
Island Records (Universal Music)
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