Tristesse – Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen

Tristesse
(c) Miklas Heinzel

Mit einem musikalischen Paukenschlag stellten sich Tristesse Ende 2021 vor. Ihre erste EP „Im schwächsten Licht“ erwies sich als packender Volltreffer, der Indie- und Alternative-Sounds mit Dream-Pop und Shoegaze sowie aufwühlenden deutschen Texten vermischte. Ob das auch auf Albumlänge funktionieren kann? Ambitioniert ist das Berliner Quintett allemal und wagt sich auf „Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen“ in neue und zugleich bestens bekannte Welten vor, von Hall, Emotionalität und unkonkret Handfestem gekonnt begleitet.

„Retina“ eröffnet in aller gebotener Kürze und trifft direkt ins Herz. Das für Tristesse-Verhältnisse eher flotte Tempo kommt gut, Jannes-Maximilian Priebels‘ mit Hall belegte Vocals kollidieren mit dicken Gaze-Harmonien und verträumten Energieleistungen – ein Widerspruch in sich, im folgenden „Wenn ihr uns blühen seht“ fast schon breitbeinig aufgelöst. Florian Balmer übt erneut ordentlich rhythmischen Druck aus, agiert selbst in ruhigen Momenten als Dynamo, während vielschichtige Melodien mit süßlichen Gaze-Konzepten kollidieren. „Schwerelos“ komplettiert das eröffnende Trio heavy und druckvoll, von Distortion nahezu zerfressen und doch von klaren Gedanken begleitet.

Das „Paradies“ ist ein Manifest der Traumwandlerei, reduziert und entschlackt, wirkt dabei dennoch so butterweich, fast schon plüschig. Inmitten jeglicher Intensität stecken Pop-Sensibilitäten, am Ende von einem mitsingbaren „na na na na“ hinfortgetragen. In „Zünd mich an“ bemühen Tristesse große Kontraste. Puristischer, schleppender Dream-Pop in den Strophen, fast schon angepisster Punk drumherum – eine spannende Kombination, ein neuer Widerspruch, erneut bärenstark umgesetzt. Und dann ist da noch das abschließende Duo, für das zunächst „Der Sonne nach“ die Arme gen Himmel ausstreckt und die Harmonie mitten in der Energieleistung akzeptiert, bevor „…und da war es Abend“ den Sonnenuntergang herbeisingt.

Vielleicht fehlt der große Aha-Moment, die Riesenüberraschung der ersten EP, denn ganz so epochal erscheint das Album nach den ersten Durchläufen nicht. Das liegt aber maximal daran, dass der Sound von Tristesse mittlerweile zumindest halbwegs umrissen ist, denn eigentlich trägt „Die Sonne ging unter, auch ich hatte vergessen“ unheimlich viel Magie und Schönheit in sich. Ja, man weiß nun in etwa, was man bekommt, doch ist das Ergebnis verdammt gut. Dieses Mal etablieren sich die vielen kleinen Details erst über Umwege, verlangen Geduld und viel Aufmerksamkeit. Tristesse arbeiten vermehrt mit Kontrasten, denken ums Eck und fühlen sich dort richtig voll. Plötzlich, ganz unvermittelt, schlägt die Platte ein und lässt nicht mehr los – ein weiterer Leckerbissen, komplexer und zugleich klarer. Tristesse beißen sich sanftmütig fest.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 14.07.2023
Erhältlich über: Tristesse / OMN Label Services

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