Locate S,1 – Wicked Jaw

Locate S,1
(c) Ebru Yildiz

Seit nunmehr fünf Jahren sucht, findet und erkundet Christina Schneider als Locate S,1 alternative Pop-Routen mit Bravour. Ihr kunstvoller, bunter, schillernder Ansatz dreht Radio-Erwartungen durch ein überdimensionales Kaleidoskop und grinst dabei schelmisch. Ihr drittes Werk, an dem sie im Sommer 2020 zu arbeiten begann, trägt zwar die Grundzüge eines Pandemie- und Lockdown-Albums in sich, nützte derlei Ansätze jedoch als Ankerpunkte für eingehende Analysen des Selbst und der eigenen Rolle in der Gesellschaft. „Wicked Jaw“ symbolisiert Öffnung und musikalische Freiheit.

Das sich hier besondere Magie zusammenbraut, zeigt bereits der zwingende und doch angenehm zurückgelehnte Opener „You Were Right About One Thing“. Während die Drums im besten Sinne nach vorne gehen, nimmt sich der Rest zurück und macht viel Platz für den butterweichen und doch kraftvollen, eindringlichen Gesang. Komplexe Arrangierung kollidiert mit der Leichtigkeit des Seins – ein starker Kunstgriff, den das folgende „Go Back To Disnee“ in Bossa-Nova-Gefilde schickt und mit einer Gitarre ergänzt, die durchaus in Math-Gefilden beheimatet sein könnte. Dieser unorthodoxe und doch verdammt clevere Witz lässt nicht los.

An anderer Stelle bemüht Schneider eine kleine, aber feine Energieleistung. „Have You Got It Yet?“ rockt in aller Kürze, fast schon punkig in seiner unnachgiebigen Art, und doch so unverschämt eingängig. Gerade die grantige, gerne mal abdriftende Gitarre fasziniert. In „The Hard Way“ scheint sie sogar mit Heartland-Rock zu liebäugeln, nur um letztlich doch wieder zurück zum bekömmlichen Quasi-Pop zu finden. Der komplett verwaschene Titeltrack, mehr Fragment als Song, feiert die Softness des Moments, die zuvor in „Daffodil“ bereits in den 80er Jahren angekommen war. Cheesy ohne kitschig zu werden, das ist ein Kunststück für sich.

Kaum eine halbe Stunde später ist der Spuk schon wieder vorbei, man befreitet sich vorsichtig aus den Fängen dieser Platte. Bei aller oberflächlicher Leichtigkeit, die weite Teile des Geschehens bestimmt, packt „Wicked Jaw“ fest zu, beinahe unbemerkt. Dieses zaghafte Anschleichen der Musik von Locate S,1 weiß zu faszinieren und zieht in einen schwer in angemessene Worte zu kleidenden Bann. Rundherum wandeln feinsinnige Pop-Weisheiten kunstvoller bis alternativer Natur, die dennoch nicht aus dem Ohr gehen. Die experimentelle Natur bleibt präsent, verzichtet jedoch auf Übertreibung. Von richtig guten Songs begleitet, entsteht eine spannende Welt, von der man sich kaum lösen kann. Geschweige denn will.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 28.07.2023
Erhältlich über: Captured Tracks (Cargo Records)

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