Gus Dapperton – Orca

Gus Dapperton
(c) Jess Farran

Wo ist Gus Dappertons Leichtigkeit abgelieben? Die ersten Singles und das Debütalbum des jungen US-Amerikaners flimmerten geschickt durch verschiedenste alternative Pop-Gefilde. Zugleich brachte ihn die dazugehörige Tour aus dem Gleichgewicht. Alkohol, Drogen und Depressionen wurden zu unwillkommenen Begleitern. Dapperton wollte sich weiterhin musikalisch intensiv mit seinem Innersten auseinandersetzen, hatte dennoch Bedenken, sich derart verwundbar zu zeigen. Gerade das macht sein neues Album „Orca“ jedoch zum vollen Erfolg.

Betont ungeschönte Arrangements – nach wie vor mitreißend und magisch – begleiten diese persönliche Note auf gekonnte Weise. Dabei hört man den Songs dies häufig nicht an. „Post Humorous“ beispielsweise wirkt schmissig, leidenschaftlich und verspielt mit seiner lockeren Gitarre und dem Indie-Pop-Zuckerguss, wenngleich Dapperton in den richtigen Momenten laut wird, wie ein Getriebener mit Dämonen aufzuräumen versucht. Das herrlich hibbelige Uptempo-Stück „My Say So“ mit Gastbeitrag der australischen Sängerin Chela nimmt das Fieberhafte des Debüts mit, nur um emotionale Schwere dahinter zu offenbaren.

Es ist der immerwährende Spagat, der den jungen Amerikaner zu Höchstleistungen antreibt. Vielleicht hört man „First Aid“ die persönlichen Probleme am deutlichsten an. Über weite Strecken bemüht Gus Dapperton halbwegs klassische Singer/Songwriter-Klänge, spielt im Refrain mit lebhafter Arrangierung und taumelt dennoch an einem Abhang, den er später mit dem Doppel „Antidote“ und „Medicine“ zu umgehen versucht. Ersterer Song ist eine schleppende, elektronisch befeuerte Halb-Ballade, von tiefster Melancholie begleitet, während zweiterer Track in seiner Reduktion auf den großen, erhabenen Moment zusteuert – wie eine EDM-Bombe ohne EDM. Die Gefühle sind dafür echt. Stark gestaltet sich auch das understatete und dennoch forsche „Palms“, dessen Offbeat-Lässigkeit gleichermaßen tanzbar ist und nachdenklich stimmt.

„Orca“ erweist seine musikalische und emotionale Vielschichtigkeit häufig erst auf Raten. Was nach dem ersten Durchlauf eh ganz okay und nett klingt, beißt nach der einen oder anderen Wiederholung fest zu. Plötzlich tritt die Verletzlichkeit ans Tageslicht, die gefühlte Aussichtslosigkeit, die Hoffnung auf Stabilität und bessere Tage. Zudem bekommt die ungeschliffenere Arrangierung mit bewussten Schönheitsfehlern Gus Dappertons State of Mind auf dieser Platte richtig gut. Der 23jährige liefert eine weitere Talentprobe ab und zeigt zugleich, dass noch viel, viel mehr Potenzial in ihm steckt. Die Leichtigkeit ist noch da, aber sie ist nicht mehr alleine auf weiter Flur.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 18.09.2020
Erhältlich über: AWAL Recordings (Rough Trade)

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