All diese Gewalt – Andere

All diese Gewalt
(c) Bettina Theuerkauf

So stark Die Nerven auch sind: Max Rieger wollte immer schon etwas haben, das nur ihm gehört. Deswegen entstand 2013 All diese Gewalt, ein Soloprojekt für den rastlosen Musiker, der Stress und Hektik schätzt, der nicht durchatmen will. Zuletzt kramte er diesen Nebenschauplatz vor vier Jahren hervor, als sich „Welt in Klammern“ ins semi-konzeptuelle Chaos stürzte und daran große Freude fand. „Andere“ brauchte laut Rieger geraume Zeit, um sich zu finden und zu sortieren. Das Ergebnis wirkt geräumiger und konkreter zugleich.

Das klingt natürlich erst einmal richtig schön seltsam und eigentümlich. Was steckt hinter einer solch brei tgefassten Aussage? Ist das nicht genau jener Tenor, den Rieger auf „Andere“ vermeiden wollte? Der Blick aufs Detail, auf die einzelnen Kapitel lohnt sich und schafft Klarheit. „Erfolgreiche Life“ steckt voller Ironie, zieht die Schrauben fester und lässt schrubbende Anti-Pop-Kaskaden los, nur eine Hook von Drangsal entfernt. Im Gegensatz dazu zerlegt „Gift“ sämtliche Schichten rund um eine wuchtige, wummernde Beat-Kaskade. Nach zweieinhalb Minuten wird es laut, schroff und unnahbar, eine entstellte Gitarre wirft sich mit wachsender Begeisterung gegen noisige Wände.

Unheimlich viel passiert auf „Andere“, und das gilt selbstverständlich ebenso für den abschließenden Titelsong. Rieger singt lange Zeit mit sanfter Synthie-Begleitung und etwas Beat. Das laute Crescendo öffnet die Arme gen Himmel mit elektronischem Post-Rock-Aufbau und ganz viel Drive. Apropos Post: „Grenzen“ betont nicht zum letzten Mal den Punk-Ausläufer des beliebten Suffix, ohne dabei am Rad zu drehen. Bleierne Beiläufigkeit mit finsterer Harmonielehre brennt sich ein. Das reduziert wabernde und doch so aufwühlende „Sich ergeben“ bezieht seine Kraft auf konzentrierter Laut-Leise-Dynamik und reißt sofort mit.

Wieder etwas anders und doch unverkennbar Rieger: „Andere“ bemüht sich um natürliche Evolution, fern von unnötigen Überraschungen und großer Effekthascherei. Nahtlos greifen diese neuen Kapitel ineinander und konzentrieren sich tatsächlich auf das Wesentliche – konkrete Aussagen und sperrangelweit geöffnete Klangräume. All diese Gewalt klingt somit beinahe pazifistisch und doch antreibend, mobilisierend. Konsequente, harmoniebedürftige Unruhe unterhält abermals im Widerspruch des Seins.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 06.11.2020
Erhältlich über: Glitterhouse Records (Indigo)

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