Isolation Berlin – Geheimnis

Isolation Berlin
(c) Noel Richter

Vertraute narrative Fäden wollen neu miteinander verflochten werden, zumindest scheinen Isolation Berlin genau das in den dreieinhalb Jahren seit „Vergifte dich“ beschlossen zu haben. Ein neuer Minimalismus hält Einzug und bemüht Reduktion auf ein absolutes Minimum, möglichst weit weg von gängigen Rockriffs und zugleich geheimnisvoll. So passt es gewissermaßen, die neue Platte „Geheimnis“ zu nennen … und auch nicht, denn Tobias Bamborschkes Texte bleiben deutlich und konkret, erhalten einzig mehr Luft zum Atmen, zum Wachsen und Gedeihen. Also alles anders und doch irgendwie gleich.

Das herrlich bizarre „Ich hasse Fußballspielen“ zeigt in etwa, wohin die Reise mittlerweile geht. Gitarren rücken in den Hintergrund, der autobiografische Text kokettiert mit vorwitziger Orgel, lockerem Rhythmus und zugespitztem Minimalismus. Belustigend und zweckmäßig die Arrangierung, dazu der Text mit Hauruck-Effekt – eine prima Kombination. Ähnliches bemüht das ellenlange „Von einem der hier sitzt und Bleistifte spitzt“, so wunderbar finster und schwerfällig mit ein wenig Intensität im Schlussdrittel. Fast möchte man an einen Überrest vergangener post-punkiger Ansätze glauben, und doch hat der Beinahe-Noir-Exkurs wenig damit zu tun. Nick Cave lässt kurzzeitig grüßen.

In seltenen Momenten drücken Isolation Berlin doch auf die Tube. „Private Probleme“ wirkt fuzzy und punkig, entpuppt sich als kauziger Rocker mit treibender Gitarre und fast krautig-maschineller Rhythmusabteilung. Das herrlich entstellte „Stimme Kopf“ taucht sogar den Zeh in das weite Noise-Meer und schlägt mit Schaum vorm Mund um sich. „(Ich will so sein wie) Nina Hagen“ platziert sich zwischen diesen Welten, ein herrlich eskalierender Track, der die Brücke von neuer Reduziertheit zu bekanntem Wahnsinn schlägt und irgendwann zusammensackt. „Am Ende zählst nur du“ ist ein wunderbares Resümee, das zu Beginn lauert, und damit ist eigentlich alles gesagt.

Und so ist „Geheimnis“ eigentlich genau das, was man sich von Isolation Berlin erhofft hat, und zugleich das exakte Gegenteil davon – eine paradoxe Platte für paradoxe Zeiten. Die spannende musikalische Häutung, die noch mehr Vielfalt und Wahnsinn in den Sound des Quartetts einbringt, kollidiert mit abermals fantastischen Texten eines werdenden Meisters. Sie stoßen vor den Kopf, kratzen und spucken, verwirren, verzaubern und halten Kurs zu neuen Ufern: Isolation Berlin bleiben in steter Bewegung. An die Kurskorrektur gewöhnt man sich schnell und erhält unterm Strich die nächste kurzweilige Platte für Herz und Hirn.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 08.10.2021
Erhältlich über: Staatsakt (Bertus)

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