Isolation Berlin – Vergifte dich
Was ist eigentlich wirklich, was noch echt? Lügen, Fake News und Alltagsentfremdung sind stete Begleiter für Isolation Berlin. Ihr „Und aus den Wolken tropft die Zeit“ war vor zwei Jahren entscheidender Impuls für die stagnierende deutsche Alternative-Gitarrenrock-Szene, die gemeinsame Platte mit Der Ringer ein kurioses Experiment zwischen Freundschaft und Verweigerungshaltung. 2018 wirft das Quartett einen ungefilterten Blick auf Liebe und Verzweiflung, und tauft diesen auf den angenehm bissigen Namen „Vergifte dich“.
Der fatalistische, im besten Sinne verstörende Titelsong darf gerne als Blaupause für diese Platte herhalten, wenn die Berliner philosophische Glanzleistungen über Post-Punk-Störsignalen erbringen und den Sinn des verseuchten Lebens mit Wattekugeln befeuern. Ähnlich schroff und doch deutlich tanzbarer sonnt sich „Kicks“ im permanenten Schatten von Primal Scream und ist doch sein eigener Herr. Zwischen wuchtigen Dreams, kuriosen Schleifen und skandiertem Wahnsinn landen drei hitverdächtige Minuten.
Natürlich können Isolation Berlin auch ganz anders. Ihre fünfminütige Elegie „Vergeben heißt nicht vergessen“ mutiert zur reduzierten Abhandlung über semi-akustische Perspektivlosigkeit des tiefsten Inneren, gefolgt von der etwas schleppenden Halb-Ballade „Marie“ – nett, letztlich aber auch nicht mehr. Ihre Ausrufezeichen setzt das Quartett an anderer Stelle. Der Opener „Serotonion“ klingt zwar stellenweise ebenso hoffnungslos romantisch, vergräbt sich dafür in einer genialen Abhandlung über biochemische Hoffnungslosigkeit. Unter den langsameren Songs ragt das pointierte „Antimaterie“ heraus, nur um ein paar Türen weiter in den chaotischen Post-Punk-Noise-Sumpf von „Die Leute“ zu stürzen. Auf halbem Weg beugt sich „Wenn ich eins hasse, dann ist das mein Leben“ dem maximalen Schrecken, ohne sich dabei verbiegen zu lassen.
These, Antithese und vernichtende Sinnlosigkeit: Isolation Berlin suchen, ohne zu finden – möglicherweise auch umgekehrt, das lässt sich nicht immer exakt sagen. Klammert man ein, zwei kleinere Belanglosigkeiten gen Album-Mitte aus, entwickelt sich „Vergifte dich“ zum erwarteten Rundumschlag, der nun noch eine Spur mächtiger, sperriger und entfremdeter wirkt. Der forsche Kurs ihrer ersten Platte wurde intensivert, entsprechende Gegenpole wirken dadurch eine Spur braver und niedlicher, ohne dabei auch nur eine Spur an pointierter Cleverness zu verlieren. Die Berliner gehen ihren Weg weiter und treten mit wachsender Begeisterung auf die Zehenspitzen von Befindlichkeitstouristen – eine charmante Fastmeisterleistung mit Luft nach oben.
Vergifte dich
VÖ: 23.02.2018
Staatsakt / Caroline International (Universal Music)
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