Bayonne – Temporary Time

Bayonne
(c) Eric Morales

Die letzten Jahre waren für Roger Sellers aka Bayonne besonders schwer. Die Krebsdiagnose und der anschließende Tod seines Vaters, das Ende einer wichtigen Beziehung sowie der Kampf mit Angstzuständen und Depressionen führte zur intensiven Auseinandersetzung mit innerer Trägheit und letztlich zur einer kompletten Umstellung des musikalischen Schaffensprozesses. „Temporary Time“ bezieht die Kraft für Sellers‘ Pop-Visionen aus den Untiefen der Seele und geht zugleich mehr denn je in synthetischen Alternativen-Gefilden auf.

Einer der interessantesten und zugleich wichtigsten Tracks ist „Right Thing“ mit seinem aufwühlenden Beat und leicht verwirrenden Vocal-Samples, die aus Heimvideos stammen. Für Sellers‘ Vater war es eine große Sache, die eigene Stimme in der Musik seines Sohnes wiederzufinden. Ätherische Melodien, große Eingängigkeit und düstere Zerrissenheit inmitten lichter Momente statten das Geschehen aus. „Tabitha“ fällt ähnlich magisch aus, geht stellenweise sogar in Richtung Dream-Pop, was prima funktioniert. Die schleppende Sinnsuche, gepaart mit einem Hauch M83, geht sofort ins Ohr und blüht in seiner vermeintlichen Statik immer weiter auf.

„Solo“ setzt ebenso auf ein vergleichsweise mobilisierendes Beat-Konzept für eigentlich ruhige bis nachdenkliche Soundscapes. Bayonne türmt Schicht auf Schicht, die Harmonien brennen sich förmlich ein. Auch im eröffnenden „Must Be True“ sorgt der doppelte Boden für Beklemmung, wenngleich das geloopte Piano sofort unter die Haut geht. Erneut wird Aufbruchstimmung angedeutet, erneut bleibt es ruhig und fragil. Das percussionreiche „Is It Time“ findet vergleichsweise langsam in den Song, was ebenso prima funktioniert. Aus der äußeren und inneren Unruhe entspringt eine der besten Melodien der gesamten Platte, so universell wie intim.

Stete Widersprüchlichkeit und feinsinnige Texturen, so oder so ähnlich lässt sich die neue Bayonne-Platte zusammenfassen. Aufwühlende Emotionen werden an allen Ecken und Enden greifbar gemacht, zudem ist das Wechselbad der Gefühle omnipräsent. Sellers lässt die Rückschläge, die Ernüchterungen, die komplette Zerstörung des Inneren wiederholt an die Oberfläche schwimmen, von feinsinnigen Melodien gekonnt begleitet. „Temporary Time“ ist groß geworden, wagt sehr viel und gewinnt dabei alles. Auf dass bessere Tage folgen mögen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 26.05.2023
Erhältlich über: Nettwerk

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