Canty – Dim Binge

Canty
(c) Lara Laeverenz

Vor etwas über einem Jahr änderte sich das Leben von Canty grundlegend. Plötzlich fühlten sich die Beine des Multitalents aus East London taub an. Die Diagnose lautete auf ‚Multiple Sklerose‘, und doch kein Grund, langsamer zu machen. Nach mehreren Songs und Kleinformaten steht nun ein erstes Mixtapes in den Startlöchern, das Altes mit Neuem vermengt, offensiv mit der neuen, eigenen Realität umgeht, aber auch früheste Erinnerungen interpretiert. „Dim Binge“ entstand in einem ‚epischen Anfall von Kreativität‘, wie Canty es nennt, begleitet von einem Buch mit eigenen Designs und Zeichnungen.

Die eröffnende Lead-Single „Mirrorball“ zählt zu den Herzstücken des Tapes, befasst sich umfassend mit der MS-Diagnose, mit dem Erlebten, der Gegenwart und mit Zukunftsaussichten. Tanzbare Pop-Entwürfe mit Electro- und Art-Fokus sowie eine pulsierende Bassline treiben das Geschehen vor sich hin und untermauern die Atemlosigkeit des Unausweichlichen, zerstörend und doch so unheimlich eingängig. Hingegn nimmt das bereits bekannte „blah blah blah“ das Tempo heraus, spielt mit HipHop-affinen Beats, nur einen Wimpernschlag von Post-Dubstep entfernt. Die Entschleunigung inmitten fieberhafter, unaufhörlicher Gespräche wird mit Vocal-Fetzen unterlegt.

Live-Performances zählen ebenfalls zu dieser Multimedia-Erfahrung, und so nimmt Canty gleich zwei Performances in dieses Mixtape auf. Eine davon ist „hahaha“, hier als endloser Tiefenrausch dargeboten, nahezu beseelt und mit seinem Piano betont lebhafter, markanter Natur. Auch „Mercy St.“ bekommt das Stage-Treatment, nun eine aufwühlende Klavier-Ballade, die Cantys Seele zur Mördergrube umgestaltet. Das könnte „St Marks“ ebenso passieren, wird in der Studio-Version jedoch von losen Beatkonzepten dürftig und bestimmt zusammengehalten. Nervös, zittrig und doch so klar – das epische „Being It“ wird zum Triumphzug der Zäsur.

Eine zurückgenommene, lose zusammengehaltene und doch so klar definierte Achterbahnfahrt der Gefühle begleitet Cantys erstes Mixtape. Offensiv, geradezu schonungslos ehrlich darf die neue Wirklichkeit an die Oberfläche schwimmen, während alte Erinnerungen reingrätschen und einen spannenden, bizarren, gerne mal assoziativen Teppich der Eindrücke schaffen. Alternative, artige Pop-Interpretationen mit unterschwelligen RnB-Sensibilitäten, treibender Beateske und feinfühliger Intimität runden „Dim Binge“ geschickt ab. Canty erfüllt die Hoffnungen und Erwartungen der bisherigen Releases und demonstriert eindrucksvolle Kraft inmitten aller Widrigkeiten. Auf dass es noch viele Schmankerl dieser Art geben darf.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 31.01.2025
Erhältlich über: Full Time Hobby

Bandcamp: whatcantydo.bandcamp.com
Instagram: www.instagram.com/canty_was_here