Billy Talent – Dead Silence

Billy Talent

Eigentlich hätten Billy Talent im Vorfeld der Aufnahmen zu ihrem vierten Album beflügelt sein müssen: Auch wenn „Billy Talent III“ nicht ganz das Niveau seiner Vorgänger halten konnte und mit der verfeinerten Ausrichtung für ein wenig Verwirrung unter Fans und Kritikern sorgte, hielt man sich dennoch in der Erfolgsspur. Die Einnahmen wurden in ein eigenes Aufnahmestudio gesteckt, doch dann das: Sänger Ben Kowalewicz hatte mit einer fiesen Schreibblockade zu kämpfen, Gitarrist und Haupt-Songwriter Ian D’Sa erlebte ebenso eine kleine kreative Dürreperiode und zu allem Überfluss musste sich der ohnehin MS-kranke Drummer Aaron Solowoniuk einer Operation am offenen Herzen unterziehen, nachdem er die Schlagzeugspuren bereits eingespielt hatte. Erholt hat er sich erstaunlich schnell und fühlt sich aktuell in Topform. Dass diese schwierigen Umstände die Kanadier, persönlich wie musikalisch, reifen ließ, stellt „Dead Silence“ unter Beweis.

Getan hat sich an allen Fronten etwas. Wie die beiden Vorabsingles bereits andeuteten, geht es bei Billy Talent 2012 ein wenig härter, metallischer zu, auch wenn das nur eine Facette des neuen Albums betrifft. Nach einem kurzen, etwas unspektakulären Intro – die einzige wirkliche Schwachstelle der neuen Platte – geht „Viking Death March“, exklusiv vorab zur mächtigen „Rock am Ring“-Show veröffentlicht, in die Vollen und erinnert dabei ein wenig an das bissige Auftreten des Debüts, angereichert mit neuen Erkenntnissen. Nur eine Tür weiter wartet „Surprise Surprise“, eine zynische Abrechnung mit der Werbeindustrie. Das tiefe Tuning zu Beginn kennt man vonn „Devil In A Midnight Mass“, dahinter bäumt sich ein mächtiger, typischer Billy Talent-Hit auf, der mit jedem Durchlauf zu wachsen scheint.

‚Wachstum‘ ist ein gutes Stichwort für diesen Longplayer. Mit jedem Durchlauf scheint das vierte Album der Kanadier anzuschwellen, es kristallisieren sich unheimlich viele Hits heraus, die man beim ersten Hinhören kaum bemerkt hätte. Eine Halb-Ballade wie „Stand Up And Run“, sehr radiofreundlich und doch kantig genug, um hängen zu bleiben, hätte auf den letzten Platten nicht funktioniert, weil die ruhigen Momente immer wieder gegen banale Peinlichkeit ankämpfen mussten. In diese mittlerweile erfrischende Riege reiht sich auch „Swallowed Up By The Ocean“ ein, dessen Kombination aus Rhythmus und eröffnendem Piano ein wenig an „Clocks“ von Coldplay erinnert. Bleibt man lange genug am Ball, entpuppt sich der vermeintliche Leisetreter als patente Power-Ballade mit bluesigen Hardrock-Einflüssen.

Besagter Blues geht vom Gesang aus, eines jener Felder, das deutlich verbessert wurde. Natürlich klingt Ben Kowalewicz nach wie vor schräg, wirkt in seinen spitzen Schreien auch schon mal schwer verdaulich; natürlich sind die Chöre gelegentlich schief und doch charmant, doch in der Gesamtheit wirken die Vocals mächtiger, dichter, harmonischer, gerade in den ruhigeren Momenten. Aber auch vermeintliche Billy Talent-Standards („Man Alive!, „Hanging By The Thread“) treffen ins Schwarze und lassen keine Wünsche offen. Zu den emotionalen Highlights zählt „Don’t Count On The Wicked“, der zweite Song nach „This Is How It Goes“ vom Debütalbum, der sich der Gesundheit Solowoniuks widmet. Der verkopft-punkige Track spielt auf die Herzoperation des Drummers an und mündet in die Refrainzeile „Turn anger into hope“, die die Kanadier dem Slogan der Organisation „F.U.M.S.“ („Fuck You Multiple Sclerosis“, Übersetzung nicht notwendig) ihres Schlagzeugers entliehen haben.

Sieht man einmal vom Intro ab (75 Sekunden harmlose Nettigkeit), ist jeder Song ein Treffer, sofern man sich damit ausgiebig auseinandersetzt. Während der Vorgänger seine offensichtlichen Hits hatte und die breite Masse mit dem einen oder anderen Highlight dahinter pappte, hat jeder Track auf „Dead Silence“ sein Eigenleben. Die Kunst daran: Auch wenn keinerlei Konzept die Songs miteinander verbindet und diese auch problemlos für sich funktionieren würden, punktet das vierte Album der Kanadier erst in seiner Gesamtheit. Billy Talent knüpfen endgültig an die auf ihrem Einstand gegebenen Versprechungen an, klingen angenehm erwachsen und vergessen dabei nicht auf ihren jugendlichen, markigen Esprit. „Dead Silence“ kommt der perfekten Platte verdammt nahe.

VÖ: 07.09.2012
Warner Music

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