Sébastien Tellier – Domesticated

Sébastien Tellier
(c) Valentine Reinhardt

Seit knapp 20 Jahren veröffentlicht der etwas andere französischer Chanteur Sébastien Tellier Musik. Er trat mit Air auf, wurde von The Weeknd gesampelt und enterte die Eurovision-Bühne in einem Golfmobil mit einem Song, der aufgrund überwiegend englischer Sprache politisch heiß diskutiert wurde. Sein sechstes Studioalbum „Domesticated“ ist davon jedoch weit entfernt. Tellier liebt sein domestiziertes Leben und entdecke die Magie der Alltagsgegenstände um sich herum. Acht luftige Lo-Fi-Synthie-Tracks begleiten die Beobachtungen des bärtigen Mannes mit der Sonnenbrille.

Eine gewisse Schwere umweht diese neue Platte. Von Melancholie möchte man nicht sprechen, doch geht Tellier nur selten aus sich heraus. Das wuchtige „Domesticated Tasks“ wirkt beinahe technoid und zeigt sich doch gemächlich, ein bleierner Exkurs mit filigraner Melodik, der Lebenslust in Alltagstrott kleidet. Ausgerechnet davor lauert mit „Venezia“ ein fröhlicher, fast euphorischer Track mit poppigen Fanfaren, einem säuselnden Protagonisten sowie einer knappen Verbeugung vor Etienne De Crécy im Abgang. Dieser kuriose, schräge Track hätte auch vor zehn bis 15 Jahren prima funktioniert.

Mit der Gefühlswelt ist es so eine Sache. Tellier nennt diesen Zustand „Hazy Feelings“ – ebenfalls etwas flotter und lebhafter, dennoch gewissermaßen durch den Filter erlebt. Es klingt nach Ausbruch, nach Sommer-Chanson, und doch schwingt etwas Undefinierbares mit. Eben das entschleunigte „Stuck In A Summer Love“, eine Liebeserklärung der anderen Art. Das federnde Beat-Konstrukt spielt mit Unbeschwertheit, ist dennoch mit beiden Beinen fest auf dem Boden verankert. Dort wartet bereits das verspielte, losgelöste „Oui“, und auch die feinen Fanfaren von „A Ballet“ wollen nicht unerwähnt bleiben.

So nimmt „Domesticated“ bevorzugt zwischen den Stühlen Platz, sammelt Telliers Trademarks zusammen und verarbeitet Erkenntnisse des Älterwerdens mit der Schönheit des geerdeten Familienlebens. Oberflächliche Schwere zieht sich durch sämtliche Tracks, dahinter verbirgt sich gewohnt Luftiges, feinsinnige Melodik und die seltene Verneigung vor der französischen House-Szene mit nahezu konträren Stilmitteln. „Domesticated“ reiht sich nahtlos in die Riege Telliers bisheriger Releases an – zeitlos, von jeglichen irdischen Sphären befreit und auf angenehme Weise eigensinnig. Pop wie von anderem Stern, bloß mit Bedienungsanleitung und Kühlschranklicht.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 29.05.2020
Erhältlich über: Records Makers (Rough Trade)

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