Ian Miles – Degradation, Death, Decay
Es dauerte ein wenig, bis sich Ian Miles durchringen konnte, sein Solomaterial zu veröffentlichen. Dabei schreibt der Creeper-Songwriter bereits seit seinem 15. Lebensjahr eigene Songs, die er immer wieder einmal aus dem Ärmel schüttelt. Nun setzt es für Miles also gleich ein komplettes Album, das bereits 2018 aufgenommen wurde, doch letztlich fand er genug Selbstbewusstsein, um das alleine im eiskalten Gästezimmer eingespielte Material – gesungen wurde beispielsweise nur, wenn seine Frau außer Haus war – zu veröffentlichen. „Degradation, Death, Decay“ verpackt kunstvolle Horror-Texte in ruhige, bewegende Arrangements.
Das wunderbare, Coheneske „Blood In My Mouth“ bringt mit stilvoller Lässigkeit den unorthodoxen Spagat dieser Platte – Blut und Schauer treffen Eingängigkeit – auf den Punkt. Miles‘ Stimme ist weich, leicht zittrig und energisch, die Präsentation von meditativer Schönheit. Im Anschluss reduziert „08.08.13“ die Instrumentierung auf ein absolutes Minimum – Akustik-Gitarre, etwas Atmosphäre und brüchiger Gesang mit Hall – und produziert eine ganz andere Art von Gänsehaut. Erst gegen Ende wird es eine Spur lauter und intensiver, aber nicht minder bewegend.
„I Hope You Choke“ dehnt den Solo-Sound deutlich aus und bemüht Noir-Ansätze. Die Vocals packen etwas Drama drauf, Piano und Gitarre gehen eine unheilvolle Allianz ein, ominöse Elemente halten Einzug. Im Vergleich zu dieser Gänsehaut klingt „They Don’t Understand“ nach Lagerfeuer, nach einer frühen Aufnahme von Bright Eyes. Natürlich offenbart sich ein doppelter Boden, die Fragilität bewegt aber ähnlich wie das suchende, mitreißende „Overwhelmed“. Miles klingt plötzlich wie Thom Yorke ohne hohes Krächzen, bemüht große Gesten in einem schleppenden und doch energischen Arrangement.
Die eigenwillige Vielschichtigkeit dieses Solo-Einstands fasziniert. Ian Miles entfernt sich zumindest musikalisch überwiegend von seiner Hauptband und zeigt sich zudem als Multitalent. Alleine die Flexibilität seiner Stimmbänder ringt Respekt ab, packt Drama und Einfühlungsvermögen wunderbar neben unterschwellige Bedrohlichkeit. „Degradation, Death, Decay“ trägt psychotische Qualitäten in sich, punktet zudem mit grandiosen Songwriting-Skills und unbequemem Abdriften in endlose Abgründe. Diese etwas andere Halloween-Platte fasziniert auf finster schillernde Weise.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 15.10.2021
Erhältlich über: Big Scary Monsters (Membran)
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