Neufundland – Grind
Ein Abschied kann auch ein Anfang sein, das haben Neufundland kürzlich selbst herausgefunden. Mit Matthias Lüken verschwanden auch Synthesizer und Klavier aus dem Bandsound. Seine Position wurde nicht nachbesetzt, stattdessen rückt nun die Gitarre stärker in den Mittelpunkt und gibt dem Quartett eine ganz andere Geradlinigkeit. Dieser neue Mut zur und Freude an Schlichtheit und Direktheit funktioniert auf Platte gar wundervoll. „Grind“ kniet sich tief in rockige Indie-Gefilde ein, die auch schon mal mit Hamburger Schule, mit Post Punk und mit dezentem Pop-Charme flirtet – ein kleiner Neustart mit großer Wirkung, der letztlich doch wieder zum Abschied geworden ist.
„Vino“ ist der geradezu obligatorische Hit, dessen Romantik augenzwinkernd serviert wird, das Gefühlszentrum dennoch mit Anlauf trifft. Eine gewisse Eingängigkeit lässt sich nicht von der Hand weisen – wunderbar arrangiert. Dass im direkten Anschluss mit „Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin“ eine treibende wie understatete Tour de Force folgt, die konstant nach einer gewaltigen Explosion strebt, passt ins Bild. Zwar bleibt diese weitestgehend aus, wird am Höhepunkt jäh unterbrochen, und doch macht dieses nahezu dauerhafte Hinarbeiten samt schabenden, gerne mal dissonanten Gitarren richtig Bock.
Mit „Steine“ widmen sich Neufundland dem Uptempo-Feld, schroff und punkig, aber auch verhalten hymnisch – ein schwungvoller Wellenbrecher, ein pointiertes Freispielen mit wachsender Begeisterung. Auch das eröffnende „Kein Scherz“ trägt eine gewisse Hibbeligkeit in sich, lebt von nervöser Energie und lebt irgendwo am fließenden Übergang zwischen Idles und The Hives. Sollte eigentlich nicht (so gut) funktionieren, tut es aber gar famos. Im angenehm schwerfälligen „Vergangenheit“ schleppt sich das Quartett durch Erkenntnis und Ermüdung, von kurzen Noise-Druckwellen und einem wunderbar stoischen Basslauf wunderbar angetrieben.
Diese personelle wie musikalische Neuaufstellung bekommt Neufundland sehr gut und lässt frische Synergien zu. Mit einer deutlich präsenteren Gitarre und unterhaltsamer, stellenweise sogar forscher Direktheit punktet „Grind“ von der ersten bis zur letzten Minute. Diese halbe Stunde hinterlässt hungrig und macht Bock auf mehr Indie-Kunst. Richtig gute, angenehm ehrliche und bei aller Intensität sympathisch unaufdringliche Songs sorgen für den würdigen Abschluss einer Band, die ihre Tätigkeit zuletzt leider immer mehr als Pflicht empfand und sich 2023 mit ein paar Konzerten verabschieden wird. Schade um diese fantastische Formation.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 02.12.2022
Erhältlich über: Unter Schafen Records (AL!VE)
Neufundland @ Home | @ Facebook
„Grind“ @ Amazon kaufen