Disso!ver – Die völlige Abwesenheit von Punk

Disso!ver
(c) Barhill Records

Jahrelange Arbeit, ein neuer Moog und ganz viel Herzblut für die Überschreitung musikalischer Grenzen: Zwischen 2020 und 2024 und somit teilweise bereits vor dem Release von „Lagerkoller“ arbeitete Roman Biewer mit neuem Synthesizer an neuer Musik. Als Disso!ver ist er gerne krautig unterwegs, blickt dabei aber ebenso über den Tellerrand und lotete in stundenlangen Sessions jede Nuance seiner Instrumente und Aufnahmegeräte aus. Über mehrere Jahre hinweg entstanden daraus Skizzen, die wiederum zu Songs verarbeitet wurden. „Die völlige Abwesenheit von Punk“ lässt den eigenen Sound mit Gusto weiter anschwellen.

Zu den willkommenen Überraschungen zählt „Ich will wie du sein“, das Dinosaur Jr. Tribut zollt, ein wenig Hamburger Schule mitnimmt und schrammelige, verwaschene Gitarren nebst wunderbar verpeilte Vocals stellt. Diese drei Minuten samt Mascis-Solo bereiten größte Freude. Davor bäumt sich mit „Hast du das gesehen“ jedoch ellenlange, synthetisch-krautige Klangforschung auf, die den Raum und räumliche Denkmuster auf die Probe stellt. Treibende Rhythmik, unterkühlte Melodien und fast beiläufig eingestreute Zeilen steuern sukzessive auf einen nicht näher benannten Siedepunkt zu, der ebenso schnell wieder abkühlt.

Was genau „Post Post Irgendwas“ ist, bleibt offen. Das Spiel mit dem beliebten, überstrapazierten Genre-Präfix wird in ein herrlich eigentümlich aufbrandendes Arrangement getaucht, Shoegaze-Gitarren und verträumte Pop-Visionen inklusive. Ob der Ausbruch „Raus aus der Überforderung“ gelingen mag? Die Auflösung bekommt Disso!ver bestens – eine fast protzige Hard-Rock-Fanfare auf der E-Gitarre, die letztlich unfassbar sympathisch rüberkommt. Das ist mehr als nur „A Fantasy Of Realness“, das tatsächlich richtig schön cool und lässig ausfällt. Sukzessive hinzugenommene Spuren lassen das Geschehen stilvoll anschwellen.

Ein heißer Tipp ist in diesem Fall die CD-Version, die mit gleich vier Bonus-Tracks von den EPs „Ich sag nichts“ (2019) und „Sonnenseite oben“ (2023) versehen wurde – überwiegend krautige, überlange Nummern, die binnen kürzester Zeit Worldbuilding betreiben und fesseln. Auch ohne diesen Zusatz ist „Die völlige Abwesenheit von Punk“ verdammt stark. Klar, der Punk sitzt Disso!ver oberflächlich nicht gerade im Nacken, doch ist vielleicht gerade diese Haltung alleine schon Punk genug, um wertiges Aufsehen zu erzeugen. Die konsequente Erweiterung der eigenen musikalischen Identität kommt gut und fesselt ab der ersten Sekunde – ansprechend und abspruchsvoll, abweisend und wärmend.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 23.05.2025
Erhältlich über: Barhill Records (Cargo Records)

Facebook: www.facebook.com/dissolvercgn