Idles – Crawler

Idles
(c) Tom Ham

Wer austeilt, muss auch einstecken können. Bloß möchte Joe Talbot nicht mehr zum Rundumschlag ausholen, auch wenn er das selbst zuletzt nur selten tat. Dennoch schlagen Idles zumindest textlich andere Töne an. Die wohl wichtigste Post-Punk-Band der letzten Jahre richtet den Blick nach innen, legt einen Seelenstriptease hin und häutet sich bei dieser Gelegenheit auch musikalisch ein wenig, ohne dabei eine komplette Abkehr zu erzwingen. Das Ergebnis nennt sich „Crawler“, mischt die Karten neu und betont dennoch gekonnt, was die Briten auf ihren bisherigen Alben so stark machte.

„The Beachland Ballroom“ als Vorbote hatte durchaus was von einem Aufreger. Machen Idles nun Soul? Davon kann freilich keine Rede sein, auch wenn sie ihren Sound noch so erfrischend reduzieren und auf ein gefühlsvolles Minimum herunterbrechen. Talbots fieberhafter Gesang klang selten so verletzlich. Ein Song wie „Meds“ verfolgt einen ähnlichen selbstzerstörerischen Inhalt, zieht das Thema Alkohol- und Drogenexzesse allerdings deutlich lauter und launischer auf. Das Tempo ist hoch, der Druck eskaliert, der hibbelige Post Punk zuckt heftig. Passenderweise vertont der mit Grind versetzte Mini-Nackenbrecher „Wizz“ SMS-Nachrichten vom Dealer.

Die stete Eskalation ist selbst in der Introspektion mitgedacht, wenn „The Wheel“ den zehnjährigen Talbot seine abhängige Mutter beknien lässt. Statt Erlösung war es der Anfang eines Teufelskreises. Wie der basslastige Track mit unterschwelligen Noise-Eskapaden eskaliert, reißt ebenso mit wie das frontale, launische „Stockholm Syndrome“. Gemächlich rollen die Druckwellen an, attackieren sämtliche Sinne gleichzeitig und wirken dennoch fast zurückhaltend. In „The End“, natürlich der Rausschmeißer, tauchen hingegen einige der besten Hooks der Idles-Karriere auf. Der grandiose, hymnische Refrain deutet Versöhnung und Hoffnung an, will am anderen Ende wieder aufstehen. Das Leben, so das Credo, ist eigentlich doch schön.

Sie gewinnen vertrauten Motiven frische Ansätze ab und öffnen sich, ohne sich komplett vom Selbst zu distanzieren: Idles gehen mit „Crawler“ den nächsten logischen Schritt, wenn man so will. Post-Punk-Eskalation mit verheerendem Wahnsinn steht weiterhin im Mittelpunkt und war dennoch selten so breit aufgestellt. Soul, Noise, Grind und hymnische Hooks bemühen berauschende Frische, unter der Oberfläche brodelt es hingegen weiterhin. Tanzbarkeit trifft großartige Lyrics, der Sound häutet sich und klingt trotzdem so konkret wie eh und je. Der Vorgänger hatte gewiss die größeren Hits, doch könnte „Crawler“ den großen Aufbruch in eine facettenreichere Zukunft darstellen.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 12.11.2021
Erhältlich über: Partisan Records / PIAS (Rough Trade)

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