Ghost Woman – Hindsight Is 50/50

Ghost Woman
(c) Valène De Valck

Qualität oder Quantität? Diese Frage stellt sich für Ghost Woman nicht, denn sie bringen einfach vermeintliche Widersprüche zusammen. Nicht nur das, ihr drittes Album binnen 18 Monaten macht sogar einen weiteren Schritt nach vorne. Aber der Reihe nach: Was einst als Solo-Spielplatz für Multiinstrumentalist und Songwriter Evan Uschenko begann, ist durch den Einstieg von Ille van Dessel zum Power-Duo geworden, das tatsächlich wie ein solches klingt und den finsteren Sound seither weiterentwickelt. „Hindsight Is 50/50“ intensiviert die beklemmende Stimmung, verwischt Gesangsmelodien und rückt die Gitarren nach vorne.

Ein Song wie „Yoko“ illustriert diese Weiterentwicklung gekonnt und wagt sich zugleich mehr denn je in Post-Punk-Gefilde vor. Hohes Tempo, Weichzeichner-Sound und hibbeliger Basslauf treffen auf zurückgelehnte Vocals, bevor die Gitarre die Führung übernimmt und den Track zerschießt, ab und an einer zweiten Gesangsmelodie gleich. So hektisch bleibt es selten, wenngleich beklemmende Wave-Stimmungen deutlich mehr Freiraum erhalten. Da wäre beispielsweise der Titelsong „Hindsight Is 50/50“, dessen zaghafte und doch bestimmte Schwere nicht loslässt. Beinahe scheinen Ghost Woman einzulullen und sprechen doch emotionalen Klartext.

Ähnliches gelingt dem ellenlangen „Highly Unlikely“, das zunächst gar jenseitig die Schwere des Seins zelebriert und nicht so recht aus dem Quark kommen will. Dieser Eindruck täuscht jedoch, denn wenn die Gleichförmigkeit einem orgasmischen Lärm-Schlussakt weicht, klappt der Unterkiefer nach, nun ja, unten. „Bonehead“ eröffnet das Album hingegen mit Stop-and-Go-Taktik, lässt immer wieder kleinere Klangwände aufmarschieren und kämpft mit der eigenen Zurückhaltung, bevor der Track viel zu schnell abbricht. Das treibende, post-romantische „Wormfeast“ breitet sich hingegen rund um eine Zäsur aus – sollte nicht funktionieren, geht aber nicht mehr aus dem Ohr.

Frischer und doch fauliger Wind umspielt diesen Drittling, der die musikalische Entwicklung des Duos mehr als gekonnt vorantreibt und einmal mehr Verzückung auslöst. Selten klangen Ghost Woman so eingängig und doch so desolat – letztlich nur auf dem Papier ein Widerspruch. Was „Hindsight Is 50/50“ hier abzieht, schafft zunächst Verwirrung, nur um sich letztlich einzubrennen. Aufwühlende Präsentation, mehr Melodik, zugleich gefühlte Verweigerungshaltung – bitte nicht radiofreundlich, denkt man sich wohl, liefert aber zumindest im Ansatz kleine Indie-Hits. Das Fleisch hat Pause, denn selten war der Geist so stark.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 24.11.2023
Erhältlich über: Full Time Hobby (Rough Trade)

Website: ghost-woman.com
Facebook: www.facebook.com/ggghostwoman