Leslie Clio – Gladys
Leslie Clio ist die Unschuld aus dem Norden, blond, blauäugig, stets mit offenen Augen durch die Welt gehend. Die 26jährige Hamburgerin klingt mit ihrem sympathischen, erfrischend schlichten Retro-Soul-Pop-Gebräu weltmännisch (oder ist es weltweiblich?), sucht das musikalische Glück jedoch in der Heimat. Ihr zur Seite stand Nikolai Potthoff, der nicht nur Tomte-Bassist ist, sondern auch Thees Uhlmann bei dessen aktuellem Soloalbum unter die Arme griff, und gemeinsam mit Clio elf radiofreundliche, unaufdringliche Songs zauberte. „Gladys“, so der Titel des Debütalbums, überzeugt über weite Strecken.
Die ersten beiden Singles eröffnen das Album und führen sogleich auf vertrautes Territorium. „Told You So“ erweist sich als Grower, gerade was den unspektakulären Refrain betrifft. Bei den ersten Durchläufen wirkt dieser geradezu antiklimaktisch, scheint die mühsame Aufbauarbeit nebst explizitem Text vergebliche Liebesmühe zu sein. Tatsächlich entfaltet dieses Stück Musik erst nach und nach seine volle Strahlkraft. „I Couldn’t Care Less“ macht als frühlingshafter Soul-Pop-Track seine Sache deutlich besser, geht sofort auf und erinnert stellenweise – darf man das sagen? – an Lena Meyer-Landrut. „I Gotta Stop Loving You“ knüpft nahtlos daran an, entfernt sich einen weiteren Schritt von klassischem Pop und schwingt mit dezenten 60s-Anleihen. Klingt nach einer künftigen Single.
In weiterer Folge entwickelt sich Leslie Clios Debütalbum zu einer Achterbahnfahrt musikalischer und qualitativer Natur, wobei die Ausschläge gen unten nur selten sind. „Holding On To Say Goodbye“ und „Twist The Knife“ wirken farblos, auch ein „Let Go“ bleibt nicht unbedingt hängen – schlecht ist jedoch keiner dieser Songs. Vor allem nützt die junge Hamburgerin jede Möglichkeit, ihre Bandbreite zu zeigen. „Dr. Feelgood“ entpuppt sich als verspielter, leicht entrückter Popsong mit hohem Gesang, den man auch gut und gerne elektronisch umsetzen hätte können; die organische Instrumentierung macht den Unterschied. „Melt Back“ setzt vermehrt auf Synthetik, wirkt stellenweise gar überladen, was jedoch zur mit Hall belegten Stimme passt, die dem Chaos eine gewisse Ordnung verleiht.
„Gladys“ ist eine bunte, abwechslungsreiche Platte. Wer sich an den beiden Singles nicht satt hören konnte, wird an den dramatischen Songs „Island“ und „Sister Sun Brother Moon“ Freude haben, während „God No More“ ein wenig gen konventionellen Pop schielt. Nicht jeder Song funktioniert, manche Idee wirkt nicht konsequent zu Ende gedacht, gelegentlich fehlt der vermeintliche Höhepunkt. Die Qualitätswäre überwiegt, Ohrwürmer setzt es zu Hauf, zumindest wenn man sich näher mit diesem Erstling auseinandersetzt. Vor allem aber ist dies eine gute Bühne für Leslie Clios Bandbreite, die wesentlich mehr als retrolastigen Soul-Pop beinhaltet.
Gladys
VÖ: 08.02.2013
Vertigo Berlin (Universal Music)
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