Temps – PARTY GATOR PURGATORY

Temps
(c) Willow Shields

Mit seinen Stand-up-Netflix-Specials, einer „Taskmaster“-Staffel für die Ewigkeit sowie mehreren Büchern und Podcasts konnte sich James Acaster selbst außerhalb seiner britischen Heimat einen Namen machen. Im Februar 2020 drehte er eine Pilotfolge für eine Mockumentary, in der er Comedy aufgeben und sich stattdessen der Musik widmen wollte – für den in seiner Jugend in zahlreichen Bands spielenden Drummer durchaus naheliegend. Die Lockdowns schoben entsprechenden Plänen einen Riegel vor, dafür tauchte Acaster in die Musikwelt ein, nahm mit unzähligen Künstlern Kontakt auf und schickte über zwei Jahre Spuren hin und her. Als Temps, augenzwinkernd als ‚DIY-Gorillaz‚ bezeichnet, kleidet er sich in ein Alligator-Kostüm und findet sich mit einer ellenlangen Gästeliste im „PARTY GATOR PURGATORY“ wieder.

Drei Alligatoren-Tracks bilden eine Art roten Faden und lassen die Maskottchenfigur sterben, nur um wieder zu leben (wie Falco, nur anders). „partygatorR.I.P.“ wirkt deep und intensiv mit souligen Vocals und pointierten, zugleich cleveren Raps. Acaster zeigte sich für sämtliche Drums und Arrangements verantwortlich, den Rest übernahmen die Gäste. Fünf Minuten im konstanten Flow verwundern zunächst, gehen letztlich in Ohr und Beine. Hingegen steht sich „partygatorpurgatory“ selbst im Weg, experimentiert mit Songstrukturen und Rhythmen. Über weite Strecken bleibt unklar, ob es sich hier überhaupt um einen Track handelt. Dann wirkt „partygatorresurrection“ fast schon erhaben, verspielt jazzig und voller großartiger Gesangsharmonien. Unter anderem zeigt sich die australische Sängerin Montaigne von ihrer besten Seite.

Ein anderer Star dieses Albums ist Shamir, der im abschließenden „slowreturn“ seinen großen Auftritt hat. Die erste Hälfte ist deep, schwerfällig, von Yoni Wolf und entfremdeten Synthie-Spuren ausgestaltet, nach einem goldenen Mittelweg suchend, bevor Shamir langsam übernimmt. Im Gospel-artigen Schlussakt ruft er sein gesamtes stimmliches Potenzial ab und verleiht dem nachdenklichen Abgang das gewisse Etwas. In „no,no“ mischt er ebenfalls mit, gemeinsam mit Quelle Chris, Xenia Rubinos und NNAMDÏ. Das Spiel mit entfremdeten Vocals und gedrosseltem Tempo, während die Drums percussionlastige Loops anstimmen, geht ebenfalls unter die Haut; wie auch der mächtige Opener „lookaliveandplaydead“ – druckvoll und drückend, voller pointierter Bars.

„PARTY GATOR PURGATORY“ ist in jeder Hinsicht eines der ungewöhnlichsten Alben des Jahres, aber auch eines der interessantesten und eines der besten. Ja, die Einstiegshürde ist verdammt hoch, weil Konventionen über weite Strecken komplett ignoriert werden, weil Drumspuren und Melodien eher als ungefähre Orientierungshilfe dienen, weil die Gästeliste scheinbar nebeneinander denkt. Mit der Zeit offenbart sich das Geschick der Arrangierung, das ein oberflächliches Chaos zu cleveren, komplexen, überaus lebendigen Songs zusammenkleistert. Temps verlangen Mut und Geduld, das wird schnell deutlich, doch hat man die Formel erst einmal geknackt, gibt es kein Loskommen. Während sich James Acaster aktuell wieder auf großer Stand-up-Tour befindet, darf gehofft werden, dass seine musikalische Leidenschaft doch eine Fortsetzung erfahren wird.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 19.05.2023
Erhältlich über: Bella Union Records

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