Current Joys – Voyager

Current Joys
(c) Brooke Barone

Nick Rattigan geht auf große Reise. Der amerikanische Endzwanziger steuert aber nicht etwa fremde Länder an, sondern das Selbst. Eine Odyssee der Selbstfindung landet in den gewohnt brüchigen Konventionen des Rock’n’Roll. Als Current Joys bricht Rattigan so und so mit den Erwartungen, bringt klassischen Indie-Charme mit, der schon mal in Bedroom-Pop und Wave-Exkurse umschlagen kann, zudem ein wenig Singer/Songwriter-Elan mitbringt. „Voyager“ wendet sich bewusst vom bisherigen Lo-Fi-Ansatz ab und wirkt in seiner Gesamtheit größer, kompletter. Die erhoffte Kraft der Musik wird tatsächlich greifbar gemacht.

Das Schicksal als „Money Making Machine“ fällt unerwartet tanzbar aus. Ein vergleichsweise seltener New-Wave-Exkurs mit sympathischer 80s-Gitarre treibt hibbelige Blüten, dazu kommt Rattigans entsprechend bedeutungsschwangerer Gesang voller Melancholie und zweifelnder Finsternis. Am Abgrund muss man sich manchmal einfach bewegen. Den Opener nennt er sogar „Dancer In The Dark“, wenngleich der stoisch-vertrackte Rhythmus und das Pendeln zwischen Piano-Ballade und Post-Rock-Wand damit wenig zu tun hat. Um den dezenten Art-Rock-Eindruck zu verstärken, streut er eben noch den titelgebenden Zweiteiler „Voyager“ drüber, der vom Soundtrack-Stück zur cineastischen Folk-Nummer mit Bright Eyes-Fragilität wird – ein Querverweis auf die Lo-Fi-Wurzeln.

Damit wäre bestenfalls an der Oberfläche gekratzt, denn dieses 16 Songs umfassende Epos überrascht auf seinen knapp 54 Minuten immer wieder mit knackigen Perlen. Eine solche ist auch „Calypso“, abermals mit 80s-Gitarre ausgestattet und recht unauffällig vor sich hin blubbernd. Gewisse The Cure-Referenzen ergeben sich von selbst, zudem winkt abermals Omaha. An anderer Stelle taucht „Big Star“ einen potenziellen großen Rocksong in ein reduziertes Lo-Fi-Gewand – als würde jemand den Counting Crows den Stecker ziehen. Im Anschluss wächst „Amateur“ immer weiter, beginnt als glummiger Alternative-Pop-Song und schimmert mit jeder weiteren Sekunde heller. Auch das ist ein Kunststück, ebenso wie die leidenschaftliche Gesangsperformance im ansonsten unscheinbaren, braven „American Honey“.

Überhaupt, diese Stimmbänder: Nick Rattigan klingt nach einem nervösen Bündel Selbstzweifel, das sich vom Ballast des eigenen Alltags freisingen muss. Die ganze Last der Welt scheint auf die schmalen Schultern zu drücken. In Verbindung mit den vielschichtigen Arrangements lässt dies „Voyager“ so richtig abheben. Nein, nicht jede Idee schlägt sofort ein, es hätte im Zweifelsfall auch einen Hauch kürzer sein dürfen. Und doch reißt die rohe Emotionalität dieses Albums sofort von den Sitzen, schreitet durch erhabene Momente, aufkratzende Beobachtungen und das ungespannte Netz unter dem doppelten Boden der drohenden Enttäuschung. Für Current Joys macht sich der neue Ansatz bezahlt, wenngleich die Lo-Fi-Energie auf gewisse Weise erhalten bleibt. In all seinen Projekten klang Rattigan bislang nie so durchgehend stark und aufwühlend.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 14.05.2021
Erhältlich über: Secretly Canadian (Cargo Records)

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