Bicurious – (re)constructed

Bicurious
(c) Jack Farrell

Guter Post Rock weist faszinierende narrative Qualitäten auf, erzeugt Stimmungen und bemüht sich um dichte, packende Atmosphäre. Genau das zeichnet das irische Duo Bicurious aus, das mit ihren bisherigen Singles und Kleinformaten über fünf Millionen Streams generieren konnen. Ihr seit 2019 erarbeitetes und Covid-bedingt verschobenes Debütalbum widmet sich persönlichen Erfahrungen der Musiker – eine psychotische Episode von Schlagzeuger Gavin Purzell und die plötzliche Vaterschaft in jungen Jahren von Gitarrist Taran Plouzané. „(re)constructed“ spielt auf geschickte Weise mit den Grenzen und Erwartungen instrumentaler Musik.

Wobei, komplett instrumental ist diese Platte eigentlich nicht. An allen Ecken und Enden verstecken sich Vocal-Samples, die Sinn, Zusammenhang, Tiefgang und Dichte stiften. Oder für Verwirrung sorgen, wie im herrlich schrägen „Palapalapa“. Math-artige Gitarren und Groove-Ansätze treffen auf überaus fröhlichen Nonsens-Gesang. Was wie ein bizarres Experiment anmutet, schlägt Schritt für Schritt in beißende Härte um, zieht die Hemdsärmel hoch und schielt sogar etwas in metallische Gefilde. Und dann taucht am Höhepunkt wieder das süßlich-verstörende Leitmotiv auf – was für ein genialer und zugleich befremdlicher Höllenritt.

„We’re All Totally Fucked“, befinden die Herren aus Dublin später, und ziehen schwere, düstere Seiten auf. Die ellenlangen Zwischenspiele setzen auf Atmosphäre, die Auflösung rührt hingegen den Beton an und packt im Hintergrund die Tanzschuhe aus – eine kuriose Mischung, die im abschließenden Titelsong „(re)constructed“ ihre nicht minder kauzige Vollendung findet. Abermals schwirren zögerliche Math-Ideen drumherum, wird das Duo aufbrausend und fies, dann wieder vertrackt tanzbar. Das eigentümliche Vocal-Sample stiftet schließlich komplette Verwirrung. „Deconstructed“ packt gefühlt alles in einen großen Mixer und dreht die Regler auf Elf. Wütende, bratende Gitarren und manische Melodiefragmente schlagen wohlig aufs Gemüt.

Eklektischer kann Post Rock kaum klingen. Bicurious halten sich von vorhersehbaren Ambient-Gefilden weitestgehend fern und bemühen sich stattdessen um komplexe Aha-Momente. Nie weiß man so richtig, in welche Richtung „(re)constructed“ ausschlagen will, doch ist gerade das die große Qualität dieses Debütalbums. Auf bärenstarke EPs folgt ein grandioses Album von monolithischer, wahnwitziger Qualität. Der frische Post-Rock-Wind ist an allen Ecken und Enden spürbar, das Storytelling große Klasse, Sound und Produktion ein roher und doch ausdifferenzierter Hochgenuss. Was für ein fantastisches Paket.

Wertung: 4,5/5

Erhältlich ab: 30.07.2021
Erhältlich über: Eigenvertrieb

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