Billy Talent – Crisis Of Faith
Fünfeinhalb Jahre. Noch nie war so viel Zeit zwischen zwei Alben von Billy Talent vergangen. Es war nicht so, als hätten es die Kanadier nicht immer wieder versucht, zogen sich nach sämtlichen Störungen ihres Alltags – Lockdowns, ein Todesfall im Familienkreis, Tourabsagen – wiederholt ins Studio zurück, um an neuem Material zu feilen. Immer wieder schafften es einzelne Songs an die Oberfläche, dann gab es mehrere Monate der kompletten Funkstille. Aus diesem vermeintlichen Stop-and-Go-Chaos tankt sich „Crisis Of Faith“ nun zurück an die Oberfläche und zeigt das Quintett so vielfältig, so musikalisch breit aufgestellt wie nie zuvor.
Die wildeste neue Idee – so ganz neu ist der Track freilich nicht – lauert gleich zu Beginn. „Forgiveness I + II“ legt treibend und pulsierend los, nur um mit fortlaufender Spieldauer in proggige Sphären abzudriften. Gerade die zweite Hälfte wirkt stellenweise fast schon jazzig, holt sich ein Saxofon ins Boot. Kaum wähnt man sich im falschen Film, korrigiert „Reckless Paradise“ den Kurs mit einem knackigen Powerhouse, das locker auf dem zweiten Album funktioniert hätte – knackig, leicht hymnisch und doch schön heavy. Den Vogel schießt allerdings „Judged“ ab, das in seinen 100 Sekunden Punk und Post-Hardcore zu einem brachialen Charmebolzen vermengt – richtig schön räudig.
Vor allem zeigen sich Billy Talent als hervorragende Songwriter. Das Riff zu „End Of Me“ schwebte Gitarrist Ian D’Sa schon lange vor. Das Ergebnis klang irgendwie nach Weezer, also wurde deren ikonischer Frontmann Rivers Cuomo mal eben für ein paar Zeilen eingeladen. So fällt der Ohrwurm ein wenig aus dem Rahmen und macht trotzdem Laune. Die schwermütige Front bedient „The Wolf“, eine typische Power-Ballade mit unerwartet scharfen Kanten. Hinsichtlich Storytelling zeigt sich „Hanging Out With All The Wrong People“ von seiner besten Seite. Dicke Midtempo-Energie trifft auf bitterböse, zynische Verse. Die Aufbruchsstimmung von „One Less Problem“ darf ebenfalls nicht unter den Tisch fallen.
Und so bleibt unterm Strich eine trotz aller Vielschichtigkeit höchst homogene Platte, die neue Wege geht und trotzdem Billy Talent in Reinkultur ist. Mehr noch, „Crisis Of Faith“ macht eine Schleife auf die Ruhelosigkeit der letzten Platten und nähert sich tatsächlich wieder den ersten beiden Klassikern an. Was zum großen Glück fehlt, ist ein Übersong Marke „Red Flag“ oder „Try Honesty“, aber das soll auch nur Meckern auf hohem Niveau sein. Die Kanadier zeigen sich mutig und zugleich gereift, schreiben fantastische Songs und kleine Perlen am laufenden Band. Billy Talent bleiben eine Macht.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 21.01.2022
Erhältlich über: Atlantic Records (Warner Music)
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