Deserta – Every Moment, Everything You Need

Deserta
(c) Jacob Boll

Ein Jahr voller Spannung, Druck und Ungewissheit auf Platte gebannt – zumindest das Gefühl, das die letzten beiden Jahre auslösten, kennt man gemeinhin. Für Matthew Doty (u. a. Midnight Faces, Saxon Shore) bedeutete es unter anderem, sein Studio aufzugeben und seine Ausrüstung in der eigenen Zwei-Zimmer-Wohnung aufzubauen, während er und seine Frau abwechselnd 13-Stunden-Schichten im Gesundheitswesen schoben und sich dabei die Kinderbetreuung aufteilen mussten. Entsprechend wurde das zweite Album von Deserta, Dotys Soloprojekt, unter Mithilfe einiger Freunde fertiggestellt. „Every Moment, Everything You Need“ setzt sich intensiv mit einer frustierenden Zeit auseinander.

„I’m So Tired“ trägt dieses alles vereinnahmende Gefühl bereits im Titel. Der verträumte Indie-Pop-Track mit dichten Synthie-Texturen zählt zu den eingängigsten Nummern dieser Platte. Dezente Wave-Rock-Untertöne entführen in wundersame Gefilde. Dort wartet bereits „A World Without“ mit seinem kraftvollen Shoegaze zwischen mächtigen Hall-Effekten und beeindruckender Intensität. Wie ein Song zugleich so luftig und so schwerfällig wirken kann, fasziniert von der ersten bis zur letzten Sekunde, feinsinniger Abgang inklusive.

Die besten Momente dieses Zweitlings finden sich allerdings am Anfang und am Ende. „Lost In The Weight“ wirft für sechs Minuten alles in die Wagschale mit herrlicher Entfremdung, mit fast schon doomiger Entschleunigung im synthetischen Gaze, mit magischen Komfortkonzepten. Hingegen dreht „Visions“ auf und nähert sich der Übersteuerung. Zunächst zaghafte Post-Rock-Ideen nehmen nach und nach Fahrt auf, Dotys Gesangs aus der Echokammer kämpft gegen das immer lauter werdende Arrangement an. Gewisse Post-Rock-Qualitäten lassen sich nicht von der Hand weisen. Das wunderbar magnetische, etwas wirre „Where Did You Go“ singt Caroline Lufkin von Mice Parade, die den Track auch schrieb – eine etwas andere, elektronisch-noisigere Herangehensweise an den Deserta-Sound.

„Every Moment, Everything You Need“ ist ein in jeder Hinsicht unwirkliches, surreales Machwerk geworden, schwer zu greifen und bei aller vorgeschobener Leichtigkeit doch schwer zu verdauen. Das Deserta-Paradox erstreckt sich über knapp 42 faszinierende Minuten zwischen Gaze und Wave, zwischen Dream und Pop, zwischen Post und Sinnsuche. Die private Krise steht stellvertretend für eine orientierungslos gewordene, überforderte Gesellschaft, die acht Songs versuchen dies zu verarbeiten, hoffen auf Auswege, auf Lösungsansätze. Eine gewisse Aussichtslosigkeit bleibt bei allen dünnen Hoffnungsschimmern, und doch ist man füreinander da – eine bezaubernde und zugleich zermürbende Platte voller Magie.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 25.02.2022
Erhältlich über: Felte (Cargo Records)

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