Eivør – ENN

Eivør
(c) Sigga Ella

Das Wandeln zwischen musikalischen Welten liegt Eivør Pálsdóttir quasi im Blut. Kunststück, denn in einer so übersichtlichen und doch erstaunlich kreativen Szene wie auf den Färöer Inseln muss man quasi alles können und spielen, um Anschluss zu finden. Neben den zarten Folk-Pop-Anfängen spielte Pálsdóttir in ihrer Jugend in Jazz- und Rock-Bands, studierte später im Ausland und entwickelte ihren Sound weiter – elektronisch, gerne mal avantgardistisch und kunstvoll, doch nie komplett von den folkloristisch angehauchten Heimatklängen entfernt. Nunmehr beim Metal-Label Season of Mist unter Vertrag, verzichtet „ENN“ auf vermutete donnernde Härte und verbindet stattdessen die Rückkehr zu klassischer Musik mit einem neuen Faible für beateske Klänge.

Dass Eivør in jüngerer Vergangenheit an mehreren Soundtracks beteiligt war, lässt sich bereits beim Hören des eröffnenden „Ein Klóta“ kaum von der Hand weisen. Die Stimme der Protagonistin taucht immer wieder aus den Tiefen des minimalistischen, Piano-basierten Arrangements auf, spielt mit Elementen klassischer Folklore und wirkt in ihrer Reduziertheit klar, bestimmt, wunderschön. Ähnlich magisch im betont schlichten Format wird es am anderen Ende des Albums. „Gaia“, die Ballade für Mutter Erde, verfinstert sich in der zweiten Hälfte zwar ein wenig, ohne dabei jedoch an feenhafter Anmut zu verlieren.

Und die Beats? Kommen natürlich, siehe und höre der ellenlange Titelsong „ENN“. Es mag eine ganze Weile dauern, bis der Siebenminüter aufblüht, dann aber dafür so richtig – schillernd und schwerfällig zugleich, voller melodischer Momente. In „Jarðartrá“ taucht eine schwer zu quantifizierende Finsternis auf, durchaus an Tricky erinnernd, doch zugleich weit weg von TripHop-Düsternis – ein kantiges, sehr lohnenswertes Störfeuer. Einzig „Upp Úr Øskuni“ merkt man die neue Heimat an. Gutturaler Gesang aus dem Kehlkopf und industriell angehauchte Gitarren langen zu. Wer den vertrauten Electro-Pop vermisst, wird im großen, dramatischen „Hugsi Bert Um Teg“ fündig.

Ist „ENN“ das bislang anspruchsvollste Eivør-Album? Tatsächlich wurden etwaige Pop-Anteile weiter zurückgefahren und um Klassik, um Beats und avantgardistische Art-Ansätze ergänzt. Entsprechend entpuppt sich Geduld mehr und mehr als Tugend einer anfangs kuriosen, letztlich aber von ausgesuchter Schönheit geprägten Platte, die mit jedem Durchlauf wächst. Die gezielte Kollision musikalischer Welten hinterlässt mächtig Eindruck, brennt sich förmlich ein und rückt zugleich mehr denn je den Fokus auf Texte und Stimmgewalt. Eivørs Präsenz schwebt über jedem einzelnen Track, selbst in den ruhigen oder rein instrumentalen Momenten, und verleiht „ENN“ eine ungewöhnliche, zugleich alles einnehmende Aura – ein bärenstarkes Werk einer nicht minder großen Künstlerin.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 14.06.2024
Erhältlich über: Season of Mist (Soulfood Music)

Website: www.eivor.com
Facebook: www.facebook.com/eivormusic