Mark Pritchard & Thom Yorke – Tall Tales

Dass sich die Wege von Mark Pritchard und Thom Yorke erneut kreuzen würden, war unvermeidbar. Pritchards Radiohead-Remixes schafften die Basis, später lieferte Yorke einen starken Gastbeitrag auf „Under The Sun“, bevor man, quasi als Lockdown-Projekt, 2020 mit den Arbeiten an gemeinsamem Material begann. Wenig überraschend klingt das komplett anders. Pritchard setzte vor allem auf alte Synthesizer, Yorke bemühte möglichst viele verschiedene stimmliche Effekte – ein Rückgriff auf die legendäre „OK Computer“-Ära – und das inoffizielle dritte Mitglied Jonathan Zawada kümmerte sich um teils bizarre Visuals. „Tell Tales“ fragmentiert die Realität und sorgt für ein grandioses, kapitales Verwirrspiel.
Mit „Back In The Game“ begann der Albumzyklus vergleichsweise beschwingt. Die lebhafte Episode erinnerte schon ein wenig an Pritchards Soloalbum, während Yorke gegen Feedbackschleifen und leicht verschleppten Beat ankämpft – herrlich bizarr und doch so spannend. Letztlich führte das aber auf die falsche Fährte, denn der Gros dieser vollen Stunde gibt sich eher zurückhaltend. Selbst das gerne mal etwas forscher angelegte „A Faker In A Faker’s World“, der achtminütige Opener, ist im Grunde eine reduzierte Ambient-Nummer, die selten aufbraust und immer durch bestenfalls lose zusammengehaltene Klangwelten stolpert.
Die omnipräsente Leere ist so etwas wie ein zusätzliches Instrument, siehe und höre das famose „This Conversation Is Missing Your Voice“. Vordergründig flirrt das Arrangement durch die Szenerie, dahinter verbergen sich zig Fragmente, wie eine Collage zusammengeschustert und dabei herrlich luftig. Von diesen zarten Zwischentönen hat auch „The White Cliff“ als zweiter Gigant mehr als genug zu bieten. Konstantes Understatement und zart aufbrandende Synthis, die erst im Schlussdrittel so etwas wie Nachdruck bemühen, suchen und finden den Wahnsinn der Selbst-Isolierung. Die kennt auch „The Men Who Dance In Stag’s Heads“, wobei der Song gleichzeitig richtig schön funkelt und sich in den Zwischenwelten wohlfühlt.
Klangforschung und Raumentwicklung versus Musik, das könnte die Überschrift für das gemeinsame Werk von Pritchard und Yorke sein, die sich für ihre Überlegungen bewusst viel Zeit lassen. Einfache Kost ist das hier natürlich nicht, wenngleich quasi ‚wenig‘ passiert. Und doch nähert sich dieser Minimalismus, der eigentlich keiner ist, sogar der Überforderung. Ellenlanges Verharren in Ambient- und Eletronica-Weisheiten, maximierter Verfremdungseffekt und die Unberechenbarkeit der Zeitlupe treiben „Tall Tales“ an, zumindest bis zum überraschenden Ausreißer. Und dem nächsten. Und noch einem. Ein Spiel ohne Verwirrung, ein Kopfhörererlebnis ohne Ziel, spannende Geschichten ohne Pointe – das Wirken des Klangkörpers wird zum packenden Happening auf dieser Platte für spezielle Momente.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 09.05.2025
Erhältlich über: Warp Records (Rough Trade)
Facebook: www.facebook.com/markprtchrd