late night drive home – as i watch my life online

late night drive home
(c) Jaydog

Ein einstiges Online-Phänomen erklimmt die nächste Sprosse auf der Karriereleiter: late night drive home nahmen ihren Ursprung 2019, als Andre Portillo und Juan „Ockz“ Vargas aus El Paso erste Tracks auf Soundcloud veröffentlichten. Zwei Jahre später war man eine komplette Band, seither erschienen diverse EPs und Singles, wobei alleine „Stress Relief“ über 100 Millionen Mal gestreamt wurde. Der nächste Schritt ist nun ein komplettes Album, mit Epitaph im Hintergrund und erstmals in einem richtigen Studio aufgenommen. „as i watch my life online“ versteht sich als Serie von Online-Vignetten, die sich kritisch und ehrlich mit der Suche nach Bestätigung in sozialen Medien befasst, während das Selbstwertgefühl Schritt für Schritt flöten geht.

Musikalisch bedient sich das US-Quartett überall und nirgendwo, was sie auf gewisse Weise herrlich sympathisch macht. Songs wie „american church“ wirken in sich ruhend und tragen dennoch eine gewisse fieberhafte Energie im Unterbau, lebhaft und pulsierend, selbst wenn die Gitarren geradezu lässig durch die Szenerie flirren. Portillos Vocals tragen weiterhin dezente Emo-Färbung, schielen schon mal Richtung The Strokes und kokettierten mit poppigem Alternative Rock. Noch Fragen? Das konzeptuelle Herzstück „uncensored on the internet“ packt ordentlich Elektronik dazu und gestaltet seine eigentlich hymnischen Gitarren glitchy. Der Ohrwurm erhält dadurch eine gewisse verfälschte Qualität, wie von einem überdimensionalen Filter überdeckt. Das passt irgendwie.

Wie viele „terabyte“ wohl gerade geladen werden? Der gemächliche Track mit Soft-Rock-Untertönen, Jangle-Charme und einer singenden Lead-Gitarre könnte in dieser Form auch von Wallows oder Los Retros stammen, während die Gitarre zu Beginn von „she came for a sweet time“ mal eben bei „Hunting For Witches“ von Bloc Party andockt und mit warmherzigem Indie Rock aus der Garage überrascht. Der hibbelige, energische Track packt dicke Harmonien aus, zieht auf die Tanzfläche und schätzt seine Zeit. „deadstar“ geht als krasses Gegenstück durch, reduziert auf ein Minimum und spielt mit New-Wave-Romantik im folkigen Gewand. Das After-Hour-Stück „she’ll sleep it off“ ist mit seiner finalen Klangcollage der ideale Abschluss für dieses Werk.

Und das kann auf angenehmste Weise verwirren und verzaubern, zur Überraschung von wohl absolut niemandem. late night drive home schaffen es tatsächlich, ihren vielschichtigen, begeisternden Sound auf ein komplettes Album zu packen, ohne sich dabei verbiegen zu müssen. Freilich muss man sich auf die recht umfangreiche Klangpalette erst einlassen, ebenso auf die musikalischen Gezeiten ihres digitalen Storytellings, das sich sehr bewusst und offensiv mit offenkundigen Schattenseiten befasst. Diese Qualitäten zeichen „as i watch my life online“ aus, wie auch die kleinen Ohrwürmer, die Emo-Ausritte, die drückenden Gitarren, die Pop-Harmonien, die Ausflüge in die Garage … late night drive home liefern ab und etablieren sich endgültig als Band to watch.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 27.06.2025
Erhältlich über: Epitaph Records (Indigo)

Website: latenightdrivehome.com
Instagram: www.instagram.com/latenightdrivehome