Interview mit Napster Deutschland-Chef Thorsten Schliesche

„Wir sind fest davon überzeugt, dass dem Flatrate-Modell die Zukunft gehören wird“

Digitale Musik ist schwer im Kommen, Portale wie Marktführer iTunes, Musicload oder auch AOL Music verzeichnen stetig steigende Download-Verkäufe. Vom einstigen Bit-Piraten hin zu einem immer stärker werdenden Konkurrenten manifestiert sich Napster immer stärker im Markt.

Mit der einstigen Peer2Peer-Tauschbörse hat Napster nur noch den Namen gemein, ein frisches Konzept mit der (noch) einzigen Download-Flatrate im Markt trägt dazu bei, dass der Service immer mehr Kunden gewinnt.

beatblogger.de hat für Euch Thorsten Schliesche interviewt, den Chef des deutschen Napster-Firmenbereichs.

Herr Schliesche, wie kann man sich Ihren täglichen Job bei Napster vorstellen?

Wahrscheinlich vermuten jetzt die meisten, dass ich den Großteil des Tages neue Alben höre, mich mit verschiedenen Bands zum Mittagessen treffe und am Abend bei Veranstaltungen wie den MTV-Awards vorbeischaue – aber mein Job sieht dann doch etwas anders aus. Zum einen bin ich für unser Geschäft in Deutschland verantwortlich, von A bis Z. Das bedeutet, ich führe Verhandlungen mit den Labels und mit verschiedenen Partnern. zum Beispiel aus der Mobilfunkindustrie, halte engen Kontakt mit meinem Team beispielsweise in Sachen Marketingaktivitäten, Internetauftritt, Technik etc. Zum andern verantworte ich alle Sales- und Marketingaktivitäten in ganz Europa, bin also dementsprechend viel unterwegs. Wichtig ist für mich außerdem, ständig informiert zu sein, was sowohl am Musikmarkt passiert, als auch in der IT-Welt, dementsprechend viel lese ich, um stets up-to-date zu sein. Abschließend ist es so, dass viele meiner Mitarbeiter mich als Zahlen-Fetischist bezeichnen, dass es ich versuche immer einen sehr detaillierten Stand über die Geschäftsentwicklung zu haben um gegebenenfalls kurzfristig reagieren zu können.

Was unterscheidet Napster aus Ihrer Sicht gegenüber anderen Online-Shops - und was ist Ihre Strategie, um dem Marktführer iTunes langfristig den Platz an der Sonne streitig zu machen?

Erstens waren und sind wir schon immer wirkliche Pioniere der digitalen Musikwelt. Napster hat damals die Idee dieser „neuen Welt“ geboren und wir arbeiten ständig daran, sehr fokussiert und vor allem qualitativ hochwertig Musik digital zu vertreiben.
Wir bieten mit mittlerweile sechs Millionen Titel aus 540.000 Alben eine enorme Auswahl an Musik und Hörtexten an, das Repertoire anderer Anbieter ist da deutlich kleiner. Des weiteren können die User bei uns nach Belieben entscheiden, wie sie die Musik konsumieren wollen, also entweder ganz klassisch, per download & buy, als auch per Flatrate für den PC oder für unterwegs. Darüber hinaus bieten wir in einigen Ländern die mobile Variante für das Handy an. Damit differenzieren wir uns deutlich vom Wettbewerb, der meist nur ein Geschäftsmodell verfolgt.
Wir haben ein breites Musik-Repertoire, umfangreiche Zusatz-Features und flexible Nutzungsmodelle. Das sind genau die Attribute, die User von einem innovativen Online-Musik-Service erwarten. Ich denke, wir haben mit unserem Angebot ganz einfach den Zeitgeist voll getroffen und mit unserer konsequenten Fokussierung auf den Nutzer auch mittelfristig den sogenannten Grossen den ein oder anderen Prozentpunkt bezüglich Marktanteile abjagen können.

iTunes geht da einen anderen Weg und bietet inzwischen auch Serien, Musikvideos usw. an. Ein Schritt hin zum digitalen Multimedia-Supermarkt. Wohin will Napster gehen? Und welches Potenzial steckt Ihrer Meinung nach in Podcasts, Hörbüchern und anderen vergleichbaren, digitalen Dateien, die nicht unmittelbar Musik sind, aber durchaus auch in das Zielgruppenfenster passen würden?
Wir setzen bei Napster voll auf akustische Inhalte, dies wollen wir auch zunächst beibehalten. Wir sehen uns als Experte für „hörbaren digitalen Content“ und nicht als Bauchladen für digitales Entertainment.
Übrigens gibt es bei Napster ebenfalls nicht nur Musik, beispielsweise bieten wir ein umfassendes Repertoire für Kinder und Jugendliche mit Hörtexten wie Löwenzahn, Hörspiele von TKKG, Tine & Tine, Hanni & Nanni und den 3 Fragezeichen. Außerdem diverse Märchen und die Reihe „Wissen für Kinder“ sowie verschiedene Playlists zum Beispiel mit Geschichten vom kleinen Eisbären.
Für Erwachsene haben wir natürlich auch einiges im Repertoire: Hörbücher, Hörspiele, Features und Autorenlesungen aus dem Programm von Napster-Partnern wie edelNET, Universal, SonyBMG und Finetunes. Dazu gehören Krimis wie „Gabriel Burns“, „Die schwarze Sonne“, Jack Welchs „Mein Know-How für ihre Karriere“ und andere Ratgeber, Science Fiction Titel aber auch Klassiker von Goethe und Karl May bis Edgar Allan Poe. Auch „leichte Kost“ wie Comedy von Michael Mittermeier und Django Asül sowie Bestseller wie „Blink!“ von Malcolm Gladwell sind verfügbar.

In den USA erhält man bei Napster nun auch kopierschutzfreie MP3s. Können Sie ein wenig skizzieren, wie es zu diesem revolutionären Durchbruch der digitalen Musik kam? Und warum haben Sie sich dabei für das Format MP3 (anstatt z.b. das neuere MPEG-4) entschieden?
Ich denke, dass dies das Ergebnis eines langen Prozesses innerhalb der Musikindustrie ist. Viele Label verstehen inzwischen, dass digitale Musik nur eine Chance auf den Massenmarkt hat, wenn man sich konsequent den Wünschen der Kunden stellt und legale Angebote nicht benachteiligt im Vergleich zu illegalen Plattformen. Grundsätzlich sind Kunden bereit für Musik bezahlen, fordern aber die gleiche Flexibilität bei den Titeln die sie aus den illegalen Tauschbörsen gewohnt sind. Da die gesamte Industrie die Chance zur Standardisierung verpasst hat kann es heute nur eine Antwort geben: MP3. Diese Form hat sich seit Anfang 2000 zum de-facto- Standard im Bereich Home Entertainment entwickelt und wird mittlerweile von nahezu allen Stereo-Anlagen, Autoradios oder mobilen Musikplayern unterstützt.

Die Beliebtheit von MP3 ist unbestritten, allerdings meiden die meißten großen Labels dieses Format nach wie vor nach allen Regeln der Ignoranz. Wie konnte Napster die Plattenfirmen von dieser neuen, userfreundlichen Strategie überzeugen?
Ich denke, die Plattenindustrie hat schlichtweg erkannt, dass sie sich der „neuen Ära“ des Musikvertreibs öffnen muss, wenn sie auch weiterhin erfolgreich am Markt sein will. Dazu gehört eben auch, kundenfreundlich zu agieren. Nur wenn die Angebote für die legale Nutzung von digitaler Musik wirklich attraktiv sind, werden sie die Musik-Fans davon abhalten, illegal digitale Musik zu nutzen – und genau hiervon profitieren dann wieder die Labels und die Künstler.

Ein Anfang scheint also gemacht. Gibt es denn Pläne, wann die kopierschutzfreien Songs auch in Deutschland erhältlich sein werden?
Wir planen, neben unserem Kerngeschäft mit der Music-Flatrate, der natürlich weiterhin auf DRM-Basis (benutzerrechtlich eingeschränkt, Anm d. Redaktion) angeboten wird, die Kauftitel auf das MP3-Format umzustellen. Wann genau wir damit starten, hängt stark von den aktuellen Verhandlungen mit den verschiedenen Musik-Labels ab. Wir gehen aber davon aus, bis Ende des Jahres gestartet zu sein.

Napster bietet als einziger Major-Downloadshop einen Flatratetarif an. Was sind Ihre Erfahrungen mit diesem Geschäftsangebot und wird dieses auch zukünftig angeboten?
Wir sind fest davon überzeugt, dass dem Flatrate-Modell die Zukunft gehören wird, was auch die Userzahlen in Deutschland und Großbritannien zeigen. Deshalb werden wir dieses Angebot auch weiter bereitstellen. Übrigens gehen auch die Analysten von dem Erfolg dieses Geschäftsmodells aus: In den USA stieg der Umsatz im Bereich Abonnement-Services laut IFPI im ersten Halbjahr 2007 um 63 Prozent im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2005.
In West-Europa wird sich nach Meinung der Experten von Jupiter Research der Gesamtumsatz des digitalen Musikmarktes bis 2009 zu 40 Prozent aus Umsätzen aus Abo-Modellen zusammensetzen. Für Deutschland prognostiziert Jupiter für 2009 ein Umsatzvolumen von 67 Million EURO. Nach Analysen von Screen Digest stieg Umsatz im Bereich Abonnement in Deutschland im Jahr 2007 um über 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Für 2008 prognostizieren die Analysten ein Wachstum von 44,4 Prozent gegenüber 2007.

Welche Rolle spielt im in diesem digitalen Markt die etatmäßige Single (bzw. digitale Maxi/EP) im Vergleich zu den physischen Tonträgern?
Die Zahl der Downloads von Einzeltiteln stieg laut dem IFPI, das ist der International Federation of the Phonographic Industry e.V. 2007 auf 1,7 Milliarden, eine Steigerung von 53 Prozent gegenüber 2006. Der Verkauf von Alben wuchs 2007 ebenfalls kräftig, aber nur um 40 Prozent.
Anhand der Zahlen zeigt sich, dass die Single sicherlich im digitalen Bereich eine stärkere Bedeutung hat, als im Bereich der physikalischen Tonträger. Musik-Fans können über den digitalen Vertrieb ganz einfach a la carte auswählen, welche Titel Ihnen gefallen, können zum Beispiel Stücke, die ihnen aus einem Album nicht gefallen, einfach weglassen und damit sparen.

Inzwischen gibt es eine Tendenz, dass Musiker nicht unbedingt zu Plattenfirmen wechseln, sondern sich von Konzertveranstaltern oder gar selbst vertreiben. Gibt es bald einen "Napster"-Prominenten?
Ich persönlich bin ein großer Freund von Fokussierung und konsequenter Ausrichtung. Das was wir können und bewiesen haben ist, digitale Musik über das Internet für Kunden zugänglich zu machen und dabei nie den Kunden außer Acht zu lassen und die Geschäftsmodelle den Markterfordernissen anzupassen. Das wollen wir auch in Zukunft tun. Parallel sollten sich die Label konsequenter mit der Endeckung und Förderung der musikalischen Talente befassen.

Mit Coldplay, den Nine Inch Nails und den Charlatans haben einige bekannte Acts damit begonnen, Singles oder gar ganze Alben zu verschenken. Haben Sie Bedenken, dass digitale Tonträger bald zum allgemeinen, kostenlosen Gut werden?
Grundsätzlich nein. Neben Tantiemen der Radio- und Fernsehstationen und Konzerteinnahmen sind Einnahmen aus den Verkäufen von physikalischen oder digitalen Tonträgern eine wichtige Einnahmequelle für die Künstler, sie werden kaum auf diese Umsätze verzichten wollen. Die kostenlose Bereitstellung ist nicht anderes als eine Form des Marketings. Und insbesondere, wenn diese kostenlosen Abgaben als Dankeschön an die Fans zu verstehen sind, kann ich dies nur unterstützen. Allerdings sollte ein zu inflationärer Umgang verhindert werden.

Wenn ich als Musikschaffender meine Musik bei Napster unterbringen will, welche Voraussetzungen muss ich schaffen und welche Geschäftsmodelle gibt es?
Grundsätzlich ist es so, dass wir nicht direkt mit Einzelkünstlern Verträge abschließen sondern entweder mit Labeln oder Aggregatoren arbeiten. In der digitalen Ära haben sich viele Unternehmen entwickelt, die Künstler unterstützen, Ihre Musik auf den verschiedenen Portalen zu positionieren und viele arbeiten sehr seriös. Wir können den Künstlern nur empfehlen, ihre Inhalte sowohl für den klassischen Download als auch für die Flatrate zur Verfügung zu stellen.

Einige unserer Benutzer möchten gerne wissen, wann Napster auch in Österreich an den Start gehen wird. Gibt es konkrete Pläne?
Nein, konkrete Pläne gibt es da leider noch nicht. Allgemein sind wir stetig dabei, unsere Präsenz in Europa auszubauen, in der Schweiz bieten wir zum Beispiel mit der Swisscom gemeinsam ein Mobile-Music-Angebot an. Wann und ob wir auch in der Alpenrepublik an den Start gehen, ist also nicht klar, wenn, sagen wir aber rechtzeitig Bescheid! Gleichzeitig freuen wir uns natürlich immer über die Möglichkeit mit lokalen Unternehmen über Partnerschaften zu sprechen.

Abschließende Frage: Welche Alben bzw. Songs haben Sie sich selbst bei Napster in letzter Zeit heruntergeladen und für gut befunden?
Dies ist meistens die letzte Frage – ich habe einen sehr weit gefächerten Musikgeschmack…im Moment höre ich bevorzugt Linkin Park und Kanye West aber das kann sich in wenigen Tagen schon wieder geändert haben..

Vielen Dank für das Interview und weiterhin viel Erfolg mit Napster!


Webseite: > http://www.napster.de
(c) musicbeat.de 21.06.2008. Das Interview führte Thorsten Spraul für beatblogger.de – Veröffentlichung des Interviews auch auszugsweise nur mit vorheriger Genehmigung!