Porcupine Tree – The Incident

(c) Roadrunner Records

Inspiration kann einen aus jeder Ecke  – egal wie unerwartet sie auch sein mag – wie ein sprichwörtlicher Blitz treffen. Für Steven Wilson – sein letztjähriges Solodebüt „Insurgents“ hallt noch nach – hat ein Schlid mit der Aufschrift „Police – Incident“ gereicht. Binnen kürzester Zeit hatte der Mastermind von Porcupine Tree das Konzept für sein neues Album „The Incident“ fix und fertig.

Hauptteil dieses Albums ist „The Incident“, ein einziger 55minütiger Song, der auf CD1 in 14 Teilstücke aufgesplittet wurde. Vier weitere Tracks, die in dieses Konzept nicht gepasst haben, finden sich auf einer beigelegten EP. Wilson hat sich also von einem Schild zu einem Verkehrsstau inspirieren lassen. Das Wort ‚incident‘ (dt. ‚Zwischenfall‘) ist für ihn sehr seltsam und kalt, kann solch ein Zwischenfall doch unter Umständen ein schwerer Unfall mit Todesfolge sein. Also hat er sich andere ‚Zwischenfälle‘ aus den Nachrichten und den Medien herausgegriffen, um diese mittels Ich-Erzähler zu humanisieren.

Was sich recht schlicht anhört, ist im Endeffekt eine geniale Steilvorlage für einen wahren Mammutsong. Über „Occam’s Razor“ und „The Blind House“ nimmt der Riese schnell Fahrt auf, setzt immer wieder kleinere Ausrufezeichen. Das fünfte Kapitel „Drawing The Line“ lebt von einem fantastischen Refrain, während das maschinelle „The Incident“ (das Titelkapitel des Titeltracks des Albums – geht’s noch komplizierter?) an Ministry und Konsorten erinnert. Rund um das knüppelharte „Circle Of Manias“ und das stark an Rush erinnernde „I Drive The Hearse“ schließt sich der Kreis ähnlich sauber, man arbeitet sich zurück in ruhigere Gefilde. Dieser Auf- und Abbau ist durchaus gut gelungen, für Porcupine Tree allerdings eher als Standardware zu kategorisieren

Herzstück ist aber ohne Frage „Time Flies“. Was bereits im gekürzten Video Edit eindrucksvoll wirkt, kann man erst mit seinen vollen 11:40 Minuten Spielzeit wirklich zu schätzen lernen. Wilson erzählt eine Lebensgeschichte, ausgehend von seinem Geburtsjahr 1967, dem Jahr von „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“ und „Are You Experienced?“. Das eindringliche Akustikgeschrammel steigert sich schnell, die Energieschübe wirken durch Keyboard-Einsatz, geshuffelten Bass und singende Gitarre besonders eindrucksvoll. Was der Video-Version allerdings fehlt, ist der lange Instrumentalteil, der von einem Gitarrensolo von gar epischer Dimension lebt, beinahe als Hendrix-Hommage zu sehen. Eben ein wahrer Geniestreich, der selbst im mannigfaltigen Backkatalog von Porcupine Tree noch herausragt.

Die vier weiteren Songs gehen ebenfalls in Ordnung. „Flicker“ will nicht so recht auf den Punkt kommen, wirkt eher wie eine ausgedehnte Interlude. „Bonnie The Cat“ ist ein Fest für Metal- und Distortion-Freunde, „Black Dahlia“ eine entspannte Halb-Ballade. Wirklich lohnenswert ist „Remember Me Lover“, ein weit über sieben Minuten langes Monster. Hier treffen balladeske und druckvolle, getriebene Passagen aufeinander, symbolisieren den in viele Richtungen hin ausgeprägten musikalischen Geist Wilsons – ein würdiger Schlusspunkt.

Eigentlich ist „The Incident“ gut geplant und hat besonders auf CD1 interessante Momente, ist aber nicht in jeder Sekunde genial, oftmals auch einfach ’nur‘ gutklassig. „Time Flies“ allein ist allerdings den Kauf weg – ein wahres Monster, ein kleines Meisterstück, ein Highlight Porcupine Trees. Auch die beigelegte EP ist gut, hat ebenfalls sein großes Highlight. Insgesamt bedeutet das ein ähnliches Niveau wie „Insurgentes“ und „Fear Of A Blank Planet“ – sehr gut mit herausragenden Momenten, auf Albumlänge aber nicht 100%ig perfekt. Soll aber kein Fehler sein.

VÖ: 11.09.2009
Roadrunner Records (Warner Music)
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