Benjamin Clementine – At Least For Now
Als der heute 26jährige Sänger, Songwriter, Pianist und Poet Benjamin Clementine in seiner Geburtsstadt London keine Zukunft für sich sah, wagte er sich vor fünf Jahren mit einem One-Way-Ticket nach Paris und sicherte sich sein Einkommen, indem er in der Métro Coversongs zum Besten gab. Dabei wurde er entdeckt, mit einem Plattenvertrag ausgestattet und seither von Show zu Show gereicht. Auf zwei EPs folgt nun das Debütalbum „At Least For Now“, eine komplexe Wundertat zwischen Jazz, Soul, klassischer Musik, Singer/Songwriter, Pop und bluesiger Schwere.
Wo fängt man bei diesem außerordentlichen Künstler an? Jeder Song ist Einstieg und Abwurf zugleich, eine komplexe Angelegenheit mit Überlänge, die Genregrenzen durchbricht, sich selbst widerspricht und großartige Piano-Poesie mit Chanson kreuzt. Case and point „Then I Heard A Bachelor’s Cry“, das wie eine jazzige Soul-Ballade beginnt, ein wenig nach einsamer Lounge klingt, bevor es nach ca. dreieinhalb Minuten kurzzeitig abreißt. Ansatzlos spielt sich Clementine in einen Rausch, scheint durchzudrehen und fängt sich – gerade rechtzeitig – doch wieder.
Was den Briten mit ghanaischen Wurzeln betrifft, erwartet man am besten das Unerwartete. „Condolence“ schwebt sanft über NuSoul mit seinem Drum-Computer-Unterbau, wird immer lauter und fieberhafter. Clementine steigert sich in seine Songs hinein, spielt dabei mit seiner problemreichen Vergangenheit und erklärt Musik zu einer gänzlich neuen Ausdrucksform. Selbst die Video-Auskopplung „Nemesis“, ein herrlich zerrissenes Ding zwischen feurigem Tanz und Coldplay-Momentum im Refrain, will sich nicht so recht festlegen, wohin es denn gehen soll.
Letztlich bleibt von Benjamin Clementine ein hochgradig interessantes Album, das sich nur schwerlich in Worte fassen lässt. Über „Winston Churchill’s Boy“ brüllt er förmlich, im bewegenden „Quiver A Little“ wird er zu Screamin‘ Jay Hawkins, dann packt er für seinen Reisebegleiter „Adios“ verspielte Streicher aus, die selbst DIY-Koryphäe Jonathan Jeremiah vor Neid erblassen lassen, nur um im nächsten Moment ins Falsett zu wechseln. Unberechenbar, widerspenstig, selbst beim zehnten Durchlauf noch überraschend: „At Least For Now“ ist eine fantastische Platte für weit offene, mutige Ohren zwischen Montreux, Jools Holland und verrauchter Bar.
At Least For Now
VÖ: 17.04.2015
Behind / Caroline (Universal Music)
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