Petter Carlsen – The Sum Of Every Shade

Petter Carlsen
(c) Dánil Røkke

Seit Jahren begeistert und überrascht Petter Carlsen mit seinem eklektischen musikalischen Ansatz, der vornehmlich mit Progressive Rock und Indie Pop arbeitet, dabei unzähligste Folk-, Rock- Metal- und Pop-Subformen miteinbezieht. Er sang ein Album lang mit Long Distance Calling (und ist weiterhin gerngesehener Gast), nimmt mit Pil & Bue fieberhafte Hymnen auf und widmete sich zuletzt norwegischer Folklore in Musik und Text. Kurzum: Man weiß nie so genau, was Carlsen serviert. Auf „The Sum Of Every Shade“ kommen nun so ziemlich alle Einflüsse zusammen. Der Titel ist, wenn man so will, Programm.

Die ersten beiden Tracks decken Carlsens vielfältiges Schaffen bereits prima ab. „I Love The Way You See The World“ bemüht sich vor allem um poppige Melodieteppiche, um knisternde Atmosphäre und um zwiebelförmige Arrangierung. Zahlreiche Schichten klappen sich zusammen und breiten sich langsam, sukzessive wieder aus – ein Monument der eingängigen Fragilität. Davon ist im folgenden „Dogs“ herzlich wenig zu hören. Der Norweger packt einen der härtesten Tracks seiner neuen Soloplatte aus, arbeitet sich minutenlang durch den zittrigen, bittersüßen Limbo. Man weiß, dass etwas passieren wird, und das laute Post-Rock-Finale erfüllt sämtliche Erwartungen.

Gitarren stehen auch in „Good News“ im Mittelpunkt, wenngleich deutlich dramatischer angehaucht. Mehrere Prog-Jahrzehnte werden auf gut dreieinhalb Minuten kondensiert, von ein wenig Falsett und neuerer Schule begleitet. Es brodelt an allen Ecken und Enden. Carlsen nimmt ebenso ein wenig der Mystik seiner norwegischen Platte mit. „Pages“ lebt von Naturromantik, von beklemmender Atmosphäre und typisch nordischer Schule. Sigur Rós winken im Vorbeifahren. Der Elan von „Funny Old Life“ reißt ebenso mit. Hier kommt so ziemlich alles zusammen, trifft poppiger Feinschliff auf proggige Aufbruchstimmung. Im reduzierten „Contradictions“ legt Carlsen zudem eine der feinsten Melodien seiner neuen Platte offen, obwohl – oder vielleicht gerade weil – diese durch Minimalismus glänzt.

Lebhaft und doch irgendwie zurückgenommen, so zeigt sich Petter Carlsens neues Soloalbum. Greifbare Liebe für die Musik an sich quellt aus jeder Pore von „The Sum Of Every Shade“. Die zeitlosen Melodien, die lebhaften Prog-Schleifen, der Post-Feinsinn, die butterweiche Indie-Folk-Attitüde – und doch ist weder von Überladung noch von Überforderung etwas zu spüren. Hier greift jede Idee nahezu nahtlos in die nächste. „The Sum Of Every Shade“ ist genau diese Platte, die man sich von Steven Wilson, vielleicht auch von Blackfield gewünscht hätte. Möglicherweise sogar Carlsens bislang bestes Album.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 13.11.2020
Erhältlich über: Function Records (Cargo Records)

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