Disso!ver – Lagerkoller

Disso!ver
(c) Roman Biewer

Im November 2019 und Januar 2020 spielte Exil-Saarländer Roman Biewer, Sänger und Gitarrist von The Lo-Fi Fair, mehrere Jam-Sessions mit Mitgliedern von Flying Moon In Space, Lovely Heron und Camera. Letztere sollte er im Anschluss auf Tour begleiten, dann kam jedoch die Pandemie dazwischen und die Musik wurde anderweitig verwurstet. Ein Teil davon landete auf der aktuellen Camera-Platte „Posthuman“, der Großteil war jedoch für „Lagerkoller“, den Einstand von Biewers Ein-Mann-Projekt Disso!ver, vorgesehen. Hier distanziert er sich von seiner Indie-Gegenwart und Metal-Vergangenheit und tauscht diese gegen eine krautige Zukunft ein.

„Misanthropie“, die wunderbar assoziative Abhandlung über Menschenhass, brennt sich mit ihrer Eigentümlichkeit schnell ein. Disso!ver spielen mit unorthodoxen Rhythmen, einer kuriosen Ballung von Drum- und Bass-Patterns im Hamsterrad des Glücks. Entsprechend locker und treibend mutet der Exkurs zugleich an, trägt die Hamburger Schule in mechanische Krautgefilde. Dort wartet das überlange „Aerosole“ mit mehr Elektronik, mit deutlichem Fokus auf Atmosphäre, mit steter Meditation über dem noisigen Aha-Moment. Auf den ersten Blick passiert wenig, doch beißen sich diese Schwingungen fest.

Einzig „Last Exit Ambient“ treibt den Fokus auf wechselnde Stimmungen noch weiter auf die Spitze, wabert zehneinhalb Minuten vor sich hin und taucht tiefer denn je in elektronische Gefilde ein. In Verbindung mit entfremdeten Vocals entsteht ein vogelwildes Gebilde in tiefster Lethargie, was für sich irgendwie schön ist. Der beste Track dieses Debüts hat damit jedoch herzlich wenig gemein und packt stattdessen eine wunderbar schiefe, höchst eingängige Gitarren-Hook aus. Schräge Lead, übertrieben wabernder Bass, lässiger Drum-Shuffle und traumhaft unorthodoxe Gesangsfetzen machen „Dysfunktional funktioniert“ zu einem Song allererster Güteklasse, dessen Weirdness unfassbar sympathisch rüberkommt.

„Lagerkoller“ ist eigenwillig, um das offensichtliche Understatement aus dem Weg zu räumen. Der Einfluss alter und neuer Kraut-Meister zeigt sich, ebenso das Faible für Elektronik und ein Unwetter der Assoziationen aus dem Munde des Chefs im Ring. Ellenlange, atmosphärische Meditationen, zackige Rock-Ansätze, beißender Noise und kuriose Eingängigkeit zwischendurch tragen Disso!ver durch mehrere schroffe, experimentelle Jahrzehnte. Nach „Rohstoff“ von Zement ist „Lagerkoller“ die zweite verdammt gute Kraut-Platte in diesem Jahr. Auf dass es nicht die letzte – schon gar nicht von Roman Biewer – sein mag, denn dieses Projekt möchte unbedingt weiter verfolgt werden.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 13.08.2021
Erhältlich über: Barhill Records

Disso!ver @ Facebook
„Lagerkoller“ @ Amazon kaufen