Joseph Boys – Reflektor

Joseph Boys
(c) Joseph Boys

Scharfzüngig, scharfkantig – generell einfach irgendwie scharf. Das sind Joseph Boys, eine Band um erfahrene Musiker mit gemeinsamer Spielwiese. Grundsätzlich im Post-Punk angesiedelt, aber gerne rockig bis noisig unterwegs, musiziert das Auge bei diesem Quartett mit. Ganzheitliches Auftreten von den Songtexten über das Artwork bis jin zur Video-Ästhetik unterstreicht lautstarke Wortmeldungen in unbequemen Gefilden. „Reflektor“, ihr neues Album, brettert mit Nachdruck durch emotionale und gesellschaftliche Untiefen, reiht unnahbare Düsternis an unerwartete Eingängigkeit.

Sogar einen kleinen Hit haben Joseph Boys am Start, so Edelfan Thees Uhlmann. Besagter Track trägt den klingenden Namen „Liebe du Schwein“ und fällt mit der Tür ins Haus. Muff Potter winken vorbei, dezente Indie-Melodik schimmert durch, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Diese atemlose Fast-Hymne zerlegt alles und bleibt dabei eingängig – ein absolutes Kunststück, das auch „Stadtdisko“ gelingt. Tatsächlich gibt sich das Quintett in dieser Episode tanzbar, hibbelig und nervös, aber auch von schroffen Noise-Breitseiten durchzogen. Der Post-Punk-Beat wird ungestüm, alles zappelt und zittert, der Refrain bleibt hängen.

„Brazilian Butt“ setzt sich mit Schönheitswahn auseinander – vielleicht nicht das aktuellste Thema, doch mit Inbrunst und präziser Wortwahl verdammt gelungen vorgetragen. Im eröffnenden „#Demokratie“ taucht ein Abgesang auf geregelten Diskurs auf, während rundherum beklemmende Abfahrten in bester Karies-Manier den dystopischen Gummitwist anstimmen. Wieder ein paar Türen weiter packt „KennIchNich“ derlei Fatalismus in gestresste Atemlosigkeit. Joseph Boys drängen nach vorne, spielen sich in einen Rausch und lassen punkige Melodik zu. Auch „Delirium Tremens“, einer von drei per Downloadcode erhältlichen Tracks, will unbedingt erhört werden. Konsequente Reduktion kollidiert mit stimmungsvoller Hoffnungslosigkeit.

Der reflektierte Abgrund des Post-Humanismus säuft ab und Joseph Boys tanzen drauf mit grimmig-verschmitzter Miene. „Reflektor“ sitzt zwischen den Stühlen besonders bequem, verursacht klaffende Wunden und legt schließlich den Aloe-Finger in selbige – ein übler und doch lohnenswerter, auf bizarre Weise bekömmlicher Kreislauf, der diese (Post-)Punk-Platte durchzieht. Tatsächlich gibt es Hits zu hören, ebenso himmlische Abstürze und komplette Resignation in kurzweiligen Dosen. An diesem grandios inszenierten Abtauchen darf es kein Vorbeikommen – eine kauzig-sympathische Platte zum Liebhaben.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 05.08.2022
Erhältlich über: Flight 13 Records (Indigo)

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