The Drums – Jonny
Die Zeit des Surfens ist längst passé. Obwohl Jonny Pierce, der The Drums seit Jahren im Alleingang führt, nach wie vor feinsinnigen Indie Pop schreibt, haben sich die Themen gewandelt. Auf dem ersten Album seit April 2019 richtet sich der Fokus auf die intensive Auseinandersetzung mit dem eigenen Trauma. Pierce arbeitet eine schmerzvolle Kindheit und Jugend auf, inspiriert durch diverse Psychologiekurse, die er während der Pandemie belegte, und nimmt Kontakt mit seinem kindlichen Selbst auf. Entsprechend heißt die Platte einfach nur „Jonny“.
Vieles begann laut Pierce mit der Mutter, die eine traumatische Geburt durchlebte. Der kleine Jonny kam in den Inkubator, eine Beziehung baute sich nie auf, emotionale Isolation folgte. Dass sich „Isolette“ diesem ernsten Thema widmet, ist dem schillernden, bunten Popsong mit seinem prägnanten Basslauf zu keiner Zeit anzuhören. In kurzen Interludes wie „Protect Him Always“ und „Little Jonny“ spricht der Protagonist seinem jungen Ich Mut zu. „Be Gentle“, erklärt er später, und wandelt auf den luftigen Schwingen einer schwülstigen wie ergreifenden Ballade mit 80s-Untertönen.
Die für The Drums typischen Indie-Hits setzt es weiterhin, bevorzugt im starken Kontrast zu den ersten Lyrics. In „The Flowers“ schwingt unheimlich viel Melodie mit und kollidiert direkt mit warmen Texturen, mit flottem Tempo und ganz viel Herzblut. Irgendwo zwischen Song und Zwischenspiel sucht „I’m Still Scared“ nach Selbstbestimmung, während der Beat Rave-artige Sphären erklimmt. Danach holt „Better“ eine der feinsten Gitarren dieser Platte aufs Parkett, dreht ein wenig am Rad und versucht Selbstaufgabe mit Unsicherheit zu vereinbaren.
Wiewohl „Jonny“ etwas sehr über die Stränge schlägt, weiß auch die neueste Drums-Platte zu unterhalten. 51 Minuten hätte es nicht gebraucht, ebenso wenig die vielen kleinen Zwischenspiele, doch ist das letztlich halb so wild. Inmitten der Übertreibung ohne Rotstift findet sich nämlich gewohnte Qualität, begleitet von vielen kleinen Hits und Rohdiamanten. Jonny Pierce bemüht sich um Selbstbewusstsein und Vergangenheitsbewältigung, während die Musik voller feiner Melodien und hibbeliger Energie ist. Respekt vor diesem mitreißenden Mammutwerk.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 13.10.2023
Erhältlich über: ANTI- Records (Indigo)
Website: thedrums.com
Facebook: www.facebook.com/wearethedrums