Mother Mother – Grief Chapter
Seit annähernd zwei Dekaden kultivieren Mother Mother ihren in Indie und Alternative verwurzelten Pop/Rock-Sound, landeten gerade in der kanadischen Heimat mehrmals in den Top 10 und durften sich dank mehrerer viraler TikTok-Hits ab Ende 2020 über verdiente Gold- und Platin-Auszeichnungen freuen. Was sich wie digitaler Hype liest, ist tatsächlich das Ergebnis langjähriger harter Arbeit sowie von verdammt gutem Songwriting. Für ihr neuestes Werk, das nunmehr neunte Studioalbum, widmet sich das Quintett schweren Themen wie Tod, Trauer und Akzeptanz. „Grief Chapter“ bezieht daraus die Kraft, die Schönheit des Lebens und der Vergänglichkeit zu schätzen.
Mitten in dieser Platte verbirgt sich einer der großen Ankerpunkte, musikalischer wie inhaltlicher Natur. Wie „Normalize“ aus seinem bizarren Intro einen herrlich schrägen und zugleich eingängigen Track schneidert, macht Laune. Bizarre Art-Pop-Einschübe, dicke Gitarren und überdimensionale Pop-Harmonien grüßen unter anderem Garbage und The Killers, aber auch das Storyboarding von Panic! At The Disco. Gefühlt fünf verschiedene Songs finden zusammen und unterhalten – eines der großen Kunststücke dieses Albums. Dass davor das in sich ruhende, reduzierte Mini-Epos „Forever“ um Fassung ringt und selbst in kaputten Breaks himmlische Melodik einbringt, passt ins Bild.
Unorthodox gestaltet sich auch der Auftakt. „Nobody Escapes“ gibt sich flott, rockig, wagt mehrere kleine Breaks und ist zugleich harmoniebedürftig … nur um direkt in das charmante „To My Heart“ zu führen, eine vergleichsweise geradlinige Nummer voller kleiner Höhepunkte, aus der sich plötzlich ein entstelltes Glam-Solo schält. Sympathisch gestaltet sich ebenso die fieberhafte Single „The Matrix“, die ein gesundes Mittelmaß zwischen Heavyness und Ohrwurm findet, nahezu aggressiv, zugleich charmant. Die Reduktion des abschließenden Titelsongs „Grief Chapter“ legt die musikalische Seele von Mother Mother offen, und auch dieser Schritt gelingt gar hervorragend.
Hits mit Widerhäkchen – mal grob, mal fein – bleiben die Spezialität von Mother Mother. Auf ihrem bereits neunten Studioalbum in 17 Jahren zeigen sie sich von viralen Hits unbeeindruckt und haben hörbar keinen Bock darauf, nach Formel oder nach Schema F zu schreiben. Stattdessen wagt „Grief Chapter“ einmal mehr den Spagat zwischen Radiohit, Indie-Perle und experimenteller Überladung, ohne sich auch nur im Geringsten irgendwo aufzudrängen oder anzubiedern. Und doch gehen diese neuen Songs nicht mehr aus dem Ohr, weil selbst schrägste Ideen so unfassbar viel Spaß machen. Von gewohnt starken, gerne mal existenziellen und zugleich suchenden Texten untermalt, gelingt Mother Mother die nächste Punktlandung – voller Charme und wohliger Intensität.
Wertung: 4/5
Erhältlich ab: 16.02.2024
Erhältlich über: Warner Music
Website: www.mothermothersite.com
Facebook: www.facebook.com/MotherMotherBook