Fat White Family – Forgiveness Is Yours

Fat White Family
(c) Louise Mason

Am Ende ging es einfach nur darum, dieses verdammte Album zu veröffentlichen: Die Arbeiten am Nachfolger von „Serfs Up!“ zerstörten Fat White Family fast. Frontmann Lias Saoudi erklärt zynisch, er hoffe auf genug Einnahmen aus den anschließenden Tourneen, um die dringend benötige Therapie finanzieren zu können. In den fünf Jahren seit der letzten Platte rieb man sich aneinander auf, illustriert durch den bitteren und dauernhaften Split mit Gründungsmitglied Saul Adamczewski. Und doch ist das gewohnt kunstvolle, noch eine Spur kaputtere Ergebnis mehr als hörenswert. Hinter dem bedeutungsschwangeren Titel – „Forgiveness Is Yours“ – wartet ein wildes Happening von einem Album.

Songs wie „Polygamy Is Only For The Chief“, geradezu glammig und doch so nihilistisch, bringen den Wahnsinn des Quintetts auf den Punkt. Die hingerotzte Beateske, der kaputte Basslauf, die geradezu funkigen Vocals und die als Melodien getarnten Störsignale vermeiden jegliche Kategorisierung, selbst in den wütenden Gitarrenwänden mittendrin. Stattdessen regiert Storytelling, wie im albtraumhaften „Today You Become Man“, das sich um eine Erzählung der Beschneidung von Saoudis Bruder in den algerischen Bergen – im Alter von fünf Jahren, ohne Betäubung – dreht. Die immer und immer wieder gesprochenen, entschuldigenden Worte des Vaters hallen nach, selbst wenn der Stream of Conciousness längst vorüber ist.

Darf es vielleicht doch eine Spur konventioneller sein? Dann ist Fat White Family die falsche Band, wenngleich es ein paar zugänglichere Nummern gibt. Da wäre beispielsweise „Work“, diese getriebene Nummer mit ihrem dominanten Bass, dissonanten Melodiefolgen, flattrigen Streichern und geflüsterten Vocals – eine post-punkige Energieleistung mit feinsten Widerhäkchen. In „John Lennon“ erzählt Saoudi von einer drogenuntermauerten Begegnung mit Yoko Ono, fühlt sich plötzlich vom verstorbenen Ex-Beatle besessen und entlockt seinen Stimmbändern gar Erstaunliches. „Feed The Horse“ wird zum nervösen Showpiece, das wiederholt durch die Decke geht und letztlich doch an einer Betonwand zerschellt, umgeben von hypnotisierenden Melodien.

Eines der kaputtesten, verrücktesten Alben des Jahres explodiert wieder und wieder. Sie waren immer schon ein wenig verrückt, diese Fat White Family, doch kam das nie so gekonnt und gebündelt durch wie in diesen 40 Minuten. „Forgiveness Is Yours“ hört man seine turbulente Entstehungsgeschichte an. Hier sitzt nichts und niemand ruhig, alles erscheint maximal entspannt und dreht wiederholt an einem imaginären Rad. Experimenteller Art Rock, Post Punk in der Tradition von Mark E. Smith, nahezu euphorische Zwischentöne, brütende Elektronik und psychedelisch untermalte Geschichten finden irgendwie zusammen. Wenig hieran macht Sinn und geht wohl gerade deswegen durch die Decke – was für eine Grenzerfahrung, was für ein verdammtes Happening.

Wertung: 4/5

Erhältlich ab: 26.04.2024
Erhältlich über: Domino Records (GoodToGo)

Website: fatwhitefamilymusic.com
Facebook: www.facebook.com/FatWhiteFamily